Das Versprechen des Opals
bestimmte Bilder sah er immer noch vor sich. Wie sie am Herd stand, die blonden Haare feucht im Nacken, die Hände weiß vom Mehl. Wie sie mit den Schafhirten hinausgefahren war und bei der Schur geholfen hatte und wie sie fluchte, wenn der alte Geländewagen nach dem Regen nicht anspringen wollte. Wie sie mit Dad nach dem Pferderennen tanzte. Sie war immer so tatkräftig gewesen, so vital. Wie hatte es passieren können, dass sie ihm so plötzlich genommen wurde?
Er starrte zum Horizont, und selbst nach all den Jahren war er den Tränen nahe. Ihr Tod hatte eine Lücke hinterlassen, die er seitdem zu füllen versuchte – und nun wusste er, dass es ihm niemals gelingen würde. Die Liebe einer Mutter war nicht zu ersetzen, wenn man sich einmal darin gesonnt hatte. Die Arme der Mutter waren nicht wie andere, und ihr Verständnis und ihre Hingabe waren vorbehaltlos.
Er stieg auf eine niedrige Anhöhe. Die mondbeschienene Ebene dehnte sich nach allen Richtungen bis zum Horizont. Das Haus war leer gewesen ohne sie, die Schafzuchtfarm voll trauriger Erinnerungen. Seine Großmutter hatte ihn und seine Geschwister zu sich genommen, bis Dad den Kampf gegen die Depressionen und die Flasche gewonnen hatte, aber sobald er gekonnt hatte, war er zu Hause ausgezogen. Dad war enttäuscht gewesen, weil er den Betrieb der Familie nicht hatte weiterführen wollen, aber es war nicht schwer gewesen, ihn davon zu überzeugen, dass er eine richtige Schulbildung benötigte, wenner je etwas anderes als ein Farmer und Schafzüchter sein wollte. Die Landschule hatte ihm eine gute Grundlage vermittelt, aber als er heranwuchs, begriff er, dass er neue Anreize brauchte, und wie Tausende vor ihm war er von der isolierten Farm im Outback in die Großstadt geflohen.
Jake stapfte den Hügel hinunter und nahm Kurs auf den Bach, der sich in der Ferne schlängelte. Er glitzerte kalt im Mondlicht, und die Bäume am Ufer erhoben sich als schwarze Silhouetten vor dem nächtlichen Himmel. In einer Nacht wie dieser war er Rachel begegnet; bis zum Morgengrauen hatten sie getanzt und die Party erst verlassen, als ihnen bewusst wurde, dass alle anderen Gäste längst gegangen waren.
Die schöne Rachel mit den schwarzen Haaren und Augen und ihrer olivfarbenen Haut. Sie hatte ihn zum Lachen gebracht und ihm das Gefühl gegeben, er sei der reichste und privilegierteste Mann der Welt. Bis er ihr das Herz gebrochen hatte.
Atemlos blieb er unter einem Baum stehen. Die uralten Äste senkten sich über den langsam dahinfließenden Bach, und die knorrig in die Erde gebohrten Wurzeln beherbergten zahllose Insekten. Er setzte sich auf einen Baumstumpf, schlug den Kragen hoch, um den kalten Wind abzuhalten, und vergrub die Hände in den Taschen. Die Erinnerung an ihren Hochzeitstag stieg in ihm auf.
Rachel und ihre Mutter hatten akzeptiert, dass er nicht zum Judentum konvertieren wollte, ihr Vater hingegen nicht. Da sie nicht in der Synagoge hatten heiraten dürfen, wurde die Zeremonie in der weniger glanzvollen Umgebung eines Gerichts in Sydney vollzogen. Ihre Eltern waren nicht dabei gewesen, aber im Laufe der Jahre hatte Rachels Mutter ihren Mann dazu bewegen können, sich mit dem Unabänderlichen abzufinden. Die Geburt des ersten Enkelkindes hatte den Zwist endgültig begraben sollen – und für eine Weile war es auch so gewesen.
Jake starrte auf seine Stiefelspitzen. Sie hieß Esther, aber sie nannten sie Sunny, denn sie hatte ein sonniges Gemüt und brachte ihnen lauter Freude. Mit achtzehn Monaten bekam sie hohes Fieber, das sich jeder Behandlung widersetzte. Kurz darauf trat ein Ausschlag auf, und sie lag schlaff in seinen Armen, als sie mit Sirenengeheul ins Krankenhaus gefahren wurden. Ein paar Stunden später war Sunny an Meningitis gestorben.
Jake seufzte tief, als er daran dachte, wie Rachel sich an ihn geklammert und um Trost gefleht hatte, als das tote Baby wachsbleich im Krankenbett gelegen hatte. Aber er war so schockiert gewesen, so tief in der eigenen Trauer versunken, dass er nicht die Kraft gehabt hatte, sich um sie zu kümmern.
Nach der traumatischen Beerdigung, bei der er den winzigen weißen Sarg getragen und zur letzten Ruhe hinabgelassen hatte, hatte er sich vor Rachel verschlossen. Hatte sich in seiner Arbeit vergraben, war spät nach Hause gekommen und schon früh gegangen, wenn Rachel noch schlief, und so hatte jeder sein eigenes Leben geführt. Denn er konnte das leere Kinderzimmer nicht ertragen, und auch nicht die dunklen Schatten
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