Das Versprechen des Opals
Ahnungen vor Miriam nicht anmerken lassen: Sie befürchtete, dass man Henry nicht finden würde. Der Digger hatte Recht gehabt – es gab zu viele Schächte, und wer da hineinfiel, konnte leicht für immer verschwunden bleiben.
»Ich bringe dich in mein Zelt, Schatz«, sagte sie sanft. »Du kannst in meinem Bett schlafen, wenn du möchtest.«
»Ich will meinen Daddy«, schluchzte Miriam. Die Tränen strömten ihr über die Wangen. Ihre zwölf Jahre bedeuteten gar nichts – sie war nur ein Kind. »Wo ist mein Daddy, Kate?«
»Ich weiß es nicht, acushla . Komm, du musst etwas essen, und wenn du ein bisschen geschlafen hast, werden wir vielleicht schon mehr wissen.« Auf dem Weg zum Zelt gingen ihr die verschiedenen Möglichkeiten wild im Kopf herum. Je mehr Zeit verstrich, desto größer wurde ihre Angst. Die Kleine durfte davon nichts wissen – aber falsche Hoffnungen durfte sie ihr auch nicht machen.
Kate streute ein Schlafpulver in die warme Suppe, und bald hatte sie Miriam auf die Federmatratze gebettet und mit der Samtdecke zugedeckt. Sie betrachtete sie einen Moment lang und erinnerte sich an das Baby, das sie so oft hatte schlafen sehen. Die Jahre und die Armut hatten dem Gesicht die kindlicheRundheit noch nicht genommen, und auch in der Faust mit dem Grübchen, die da geballt auf der Samtdecke lag, war das Baby noch zu erkennen.
Mit einem tiefen Seufzer wandte Kate sich vom Bett ab und drehte den Lampendocht herunter, ehe sie das Zelt verließ. Sie hatte noch etwas zu tun. Etwas, das nicht bis zum nächsten Morgen warten konnte.
Henrys Zelt lag im Dunkeln; Kate zündete einen trockenen Ast an einem nahen Lagerfeuer an. Dann schlug sie die Zeltklappe beiseite, aber auf den Anblick, der sie hier erwartete, war sie nicht vorbereitet.
Henrys Habseligkeiten waren gründlich durchwühlt worden. Seine Malsachen waren auf dem Boden verstreut, Kissen und Matratzen zerfetzt, die Kleider in eine Ecke geworfen. Ein unvollendetes Gemälde war zerschlitzt, die Staffelei zerbrochen worden. Leere, ausgewaschene Kerosinkanister, die als Schrankfächer gedient hatten, hatte man ausgekippt; ihr Inhalt lag überall im Zelt verstreut. Henrys Satteltaschen waren ausgeleert, und die letzten Reste seiner Vorräte waren verschwunden, ebenso seine Hacke und seine Schaufel.
Kate bückte sich und hob die Miniatur von Maureen auf, die er vor so vielen Jahren gemalt hatte. Sie war offensichtlich von einem schweren Stiefel in den Boden getreten worden und so zertrampelt, dass man sie kaum noch erkannte. Kate steckte sie in die Tasche und wurde immer wütender. Ehrlichkeit war in den Minen eine seltene Eigenschaft – aber das hier? Das war barbarisch. Warum den Proviant stehlen? Warum willkürlich alles zerstören, was Miriam lieb und teuer war? Zumal an einem so schrecklichen Tag wie heute? Wie konnte jemand dazu fähig sein?
Und wenn jemand zum Stehlen hergekommen war, warum zerfetzte er dann die Matratzen? Die Miniatur war wertvoll –warum zertrat er sie und ließ sie liegen? Die Fragen überschlugen sich in ihrem Kopf, aber dann beruhigte sie sich, und an die Stelle von Wut trat eiskalte Angst. War der Diebstahl vielleicht nur die Tarnung für eine sehr viel unheimlichere Absicht?
Kate schaute durch die offene Zeltklappe hinüber zu Paddys Zelt. Im Flackerlicht der Lampe erkannte sie seinen dunklen Schatten auf der Zeltleinwand; er saß bei seiner Frau und seiner Tochter. Henrys Verschwinden schien ihn nicht weiter zu beunruhigen. Warum suchte er nicht mit den anderen nach ihm? Die beiden waren schließlich Partner.
Sie dachte an ihre letzte Unterhaltung mit Henry, und wieder überlief es sie eiskalt. Henry würde nicht zurückkommen, und nur ein einziger Mensch hatte durch sein Verschwinden etwas zu gewinnen. Nur ein einziger Mensch war fähig zu solcher Gewalttätigkeit. Aber wie sollte sie das beweisen?
Zögernd tat sie einen Schritt auf Paddys Zelt zu und blieb dann stehen. Sie kannte seine Brutalität, und sie wusste, dass sie selbst mit der Pistole in der Tasche die Wahrheit nicht aus ihm herausbringen würde. Wenn sie ihn jetzt befragte, würde sie ihn auf sich aufmerksam machen und Miriam in Gefahr bringen. Aber Miriam musste beschützt werden – Henry hätte es so gewollt.
Rasch sammelte Kate die wenigen Kleidungsstücke und anderen Habseligkeiten zusammen, die noch heil geblieben waren, und stopfte alles in die Satteltaschen. Das Malzeug rollte sie in die Leinwand, dann schaute sie sich noch einmal kurz um und
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