Das Versprechen des Opals
erschien die Schule ihr wie ein Gefängnis, und sie konnte es nicht erwarten, dass das Jahr zu Ende war.
Miriam stieg aus der Kutsche und sammelte ihre Bücher ein. Ihr war heiß und unbehaglich in der engen Jacke und dem schmalen Rock, der sie zwang, sich zu bewegen wie ein gehobbeltes Pferd. Der breitkrempige Panamahut war einfach nur lästig; er thronte wacklig auf ihrem dichten, widerspenstigen Haar, festgesteckt mit Hutnadeln, die an der Kopfhaut kratzten. Sie fuhr sich mit dem Finger unter den Kragen der hochgeschlossenenBluse und wünschte, die Spitzenrüsche wollte sie nicht so sehr unter dem Kinn kitzeln.
Ihre Hand erstarrte, als sie Bridie Dempster bemerkte, die soeben von einem Diener aus einer Kutsche gehoben wurde. Der Mann trug die gleiche grün-goldene Livree wie der Kutscher, und die funkelnde, teuer aussehende Kutsche war offensichtlich ein privates Gefährt.
Miriam nagte an der Unterlippe und wusste nicht, was sie tun sollte. Sie hatten einander seit vier Jahren nicht gesehen, aber sie konnte sich noch gut erinnern, wie wütend Paddy beim letzten Mal gewesen war, und noch immer schmerzte die Kränkung darüber, dass Bridie es nach dem tragischen Verschwinden ihres Vaters nicht für nötig gehalten hatte, sie zu besuchen.
Während Miriam noch zögerte, nahm Bridie ihr die Entscheidung ab: Sie erkannte Miriam mit einem Blick, streckte die Nase in die Luft, wandte sich ab und rauschte mit Seidengeraschel an ihr vorüber.
Miriams Erleichterung war nicht frei von Traurigkeit. Sie hatten einander so nah gestanden – und jetzt würden sie Fremde bleiben. Bridie trug eine reich bestickte Jacke und den dazu passenden Rock. Bridies Hut hatte Miriam in einem Putzmachersalon der Stadt gesehen, und sie wusste, dass er ein kleines Vermögen gekostet hatte – und anders als der eigene saß dieser Hut perfekt auf den kastanienbraun glänzenden Locken. Paddy musste einen Topf voll Gold gefunden haben, denn wie sonst war dieser auffällige Reichtum zu erklären?
Miriam folgte ihr in die Empfangsdiele, wo Bridie von Miss Prudence willkommen geheißen wurde. Es war offensichtlich der erste Morgen für sie – aber Miriam begriff nicht, warum Bridie überhaupt da war. Sie war erst dreizehn, doch schon jetzt eine so kultivierte Erscheinung, wie Miriam es niesein würde. Ihre selbstsichere Ausstrahlung sorgte dafür, dass sie zum Zentrum der Aufmerksamkeit wurde, wenn sie einen Raum betrat.
»Junge Damen«, rief Miss Prudence und klatschte in die Hände. »Ich möchte Ihnen Miss Bridget Dempster vorstellen. Miss Dempster wird den Rest des Semesters bei uns verbringen, und ich bin sicher, Sie alle möchten sich mir anschließen und für die prächtige Orangerie danken, die ihr Vater der Schule gestiftet hat.«
Miriam schloss sich dem höflichen Beifall an, und sie bemerkte den Schimmer in Bridies nussbraunen Augen, als ihr Blick durch den Raum wanderte und schließlich auf Miriams Gesicht verharrte. Düstere Vorahnungen ließen sie frösteln. Sie hatte die wortlose Botschaft verstanden. Die Herausforderung stand im Raum. Bridie würde keinerlei Tratsch über ihre niedere Herkunft dulden: Sie würde mit Klauen und Zähnen kämpfen, um sie geheim zu halten.
Miriam wandte sich ab und begab sich in ihre Klasse. Sie würde mit niemandem über Bridies Vergangenheit reden, und sie würde Kate nicht erzählen, dass Bridie hier war – oder dass Paddy der Schule etwas gespendet hatte. So etwas würde nur Unannehmlichkeiten einbringen. Die Dempsters waren für Kate in den letzten Jahren ein ständiger Stein des Anstoßes gewesen; Miriam wusste nicht, warum, aber ihr war klar, dass sie nur Öl ins Feuer gießen würde, wenn sie von ihnen anfinge. Bis zum Ende des Semesters waren es nur noch ein paar Wochen. Da konnte es nicht schaden, wenn sie Bridies Anwesenheit verschwieg.
Nur drei Tage später sollte Miriam erfahren, wie gefährlich Bridie sein konnte.
Miss Prudence und Miss Faith standen auf ihrem kleinen Podest. Sie hatten die Mädchen aus dem Nachmittagsunterrichtzusammengerufen. Ihre Mienen waren streng, und die schwarzen Kleider betonten die Blässe ihrer Haut. »Ich habe die traurige Pflicht, einen Diebstahl bekannt zu geben«, sagte Miss Prudence, die Sprecherin der beiden.
Auf einen leisen Aufschrei folgte aufgeregtes Raunen unter den dreißig Mädchen. Miriam wollte sich ihrer Freundin Amy zuwenden, als sie merkte, dass Bridie sie anstarrte. Ihr Blick war kalt, ihr Mund schmal, aber in der Haltung ihres
Weitere Kostenlose Bücher