Das Versprechen des Opals
paffte eine Zigarre. Er hatte die Augen geschlossen und bemühte sich ganz unverhohlen, Ralph zu ignorieren. Ralph spielte nervös mit seinem Glas herum; er fühlte sich in seinemStraßenanzug sichtlich unwohl und wünschte sich offenkundig woandershin. Er hatte vor dem Essen versucht, Miriam nach ihrem »Glücksfall« zu befragen, aber sie hatte ihn mit dem vagen Versprechen abgewimmelt, sie werde später alles erzählen. Er konnte es anscheinend nicht erwarten, dass die Party zu Ende war, damit er zum Geschäftlichen kommen könnte.
Miriam machte es Spaß, Ralph ein Weilchen schmoren zu lassen, und sie lächelte, als Leo noch eine Flasche Champagner entkorkte. Sie fühlte sich schon ein bisschen beschwipst – aber das kam wahrscheinlich eher von den Tabletten als von dem, was sie bis jetzt getrunken hatte. Zumindest hielt die Kombination den Schmerz in Schach. Sie hatte noch zwei Tabletten eingesteckt, falls sie sie brauchen sollte.
»Ich möchte einen Toast ausbringen.« Leo schaute vom anderen Ende des Tisches zu ihr herunter. »Die Franzosen haben ein besseres Wort für Schwiegermutter, und auf Mim passt es tadellos: belle-mère. Wir gratulieren dir zum Fünfundsiebzigsten.«
Unter zustimmendem Jubel wurden die Gläser erhoben, und dann wollten alle, dass sie auch sprach.
Miriam schob ihren Stuhl zurück und stand auf. »Auf meine Familie«, sagte sie schlicht. »Möge sie mich weiterhin lieben.«
Es wurde still, und alle schauten sie ratlos und fragend an, als sie sich wieder hinsetzte. »Aber natürlich tun wir das«, stammelte Louise. »Wie kannst du denn so etwas sagen?«
Miriam schaute jedem von ihnen ins Gesicht. Jake schlug die Augen nieder, Fiona guckte verständnislos, und die andern waren einfach entgeistert. »Trinkt euren Champagner«, befahl Miriam. »Ihr werdet euch stärken müssen.«
Besorgtes Gemurmel wanderte um den Tisch, aber sie gehorchtenalle. Die gelöste Stimmung des Nachmittags war dahin; die Atmosphäre war plötzlich angespannt.
»Das hört sich ja ominös an«, grollte Leo. »Du wirst uns doch jetzt nicht gestehen, dass du eine abscheuliche Sünde begangen hast, oder?« Er versuchte den plötzlichen Ernst durch ein leises Lachen zu verscheuchen. »Hast du etwa eine geheime Vergangenheit als Callgirl – oder hast du hier einen Lustknaben versteckt, von dem wir wissen sollten?«
Miriam lächelte über sein Geflachse und wollte ihm antworten, aber Fiona fiel ihr ins Wort. »Los, Mim. Spann uns nicht länger auf die Folter!«
Miriam zog sich den Schal fester um die Schultern. Warum waren die jungen Leute nur immer so ungeduldig? »Ich habe euch zwei Dinge mitzuteilen«, begann sie. »Beides wird ein Schock für euch sein, und es tut mir Leid, dass ich diese hübsche Geburtstagsfeier verderben muss. Aber es kommt selten vor, dass wir alle zusammen sind, und dies ist meine einzige Chance.«
Sie sah, dass Frank seinen Stuhl zurückschob. »Geh nicht, Frank«, bat sie hastig. »Du gehörst ebenso zur Familie wie alle anderen, und was ich zu sagen habe, das betrifft auch dich.«
»Aber wenn das eine Familienangelegenheit ist, sollte dein Gast sich vielleicht zurückziehen«, erklärte Ralph aufgeblasen wie immer.
»Jake bleibt hier«, erwiderte sie und warf dem jungen Mann einen Blick zu, der um Vergebung bat. »Ihr werdet gleich verstehen, warum.«
Miriam sammelte ihre Gedanken, während ihre Finger die Seidenfransen ihres Schals streichelten. Welche der beiden Neuigkeiten sollte sie ihnen als erste offenbaren? Willkommen würden sie ihnen beide nicht sein, aber jetzt war der Augenblick da, und sie musste sich entscheiden.
Sie holte tief Luft. »Ich habe Krebs«, sagte sie unumwunden.
Erschrockene Aufschreie, dann Stimmengewirr und erste Tränen.
Miriam hob die Hand, um alle Fragen zurückzuweisen. »Er sitzt in meinem Rücken, breitet sich aus und ist inoperabel. Ich habe die Diagnose akzeptiert. Und ich habe nicht den Wunsch, meine Würde und meine Lebensqualität aufzugeben, indem ich mich in ein verdammtes Krankenhaus stecken und da verstrahlen lasse. Versucht also bitte nicht, mit mir zu diskutieren, und versucht auch nicht, mich emotional unter Druck zu setzen. Beides wird mich nicht umstimmen.«
Sie schaute ihre Tochter und ihre Enkelinnen an und gewahrte ihre Fassungslosigkeit, ihren Schmerz und die Tränen. »Es tut mir Leid, dass ich es euch so sagen muss, ihr Lieben, aber ich dachte, es ist besser, wenn ich nicht drumherum rede. Krebs ist nur ein Wort, und wir
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