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Das Versteck

Das Versteck

Titel: Das Versteck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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den Mund.
    Sie saß am Steuer ihres neuen roten Mitsubishi. Hatch saß entspannt auf dem Beifahrersitz, streckte einen Arm zum offenen Fenster hinaus und klopfte den Takt zu einem Golden Oldie im Radio, »Please Mr. Postman« von den Marvelettes.
    Sie passierte die letzte der riesigen Dattelpalmen entlang des Newport Center Drive, bog nach links auf den Pacific Coast Highway ab und fuhr südwärts, vorbei an Mauern, an denen sich Bougainvillea emporrankte. Der Apriltag war warm, aber nicht heiß und der Himmel strahlend blau. Kurz vor Sonnenuntergang würde sein flimmerndes Leuchten an die Gemälde von Maxfield Parrish erinnern. Auf dem Highway herrschte wenig Verkehr, und der Ozean schimmerte wie gold- und silberdurchwirkter Brokat.
    Ein stiller Jubel erfüllte Lindsey – seit sieben Wochen ein Dauerzustand. Es war einfach die Freude, am Leben zu sein. Jedes Kind kennt dieses Gefühl, aber den meisten Erwachsenen geht es irgendwann verloren. Auch ihr war es abhanden gekommen, und sie hatte es nicht einmal gemerkt. Eine unvorhergesehene Konfrontation mit dem Tod war genau das Richtige, um einem die Lebensfreude der ersten Jugendjahre wiederzugeben.
     
    Zwei Etagen unterhalb der Hölle verschlief Vassago den Tag auf seiner schmutzigen und durchgelegenen Matratze, nackt unter einer Decke. Meistens träumte er von gemartertem Fleisch und zersplitterten Knochen, von Blut und Galle, von Totenschädeln und Skeletten. Manchmal träumte er von sterbenden Menschen, die sich unter einem schwarzen Himmel auf kahler Erde in Todeskrämpfen wanden, während er zwischen ihnen umherwandelte wie ein Prinz der Hölle zwischen den niederen Scharen der Verdammten.
    An diesem Tag aber hatte er ganz andere Träume, seltsame Träume, bemerkenswert wegen ihrer Alltäglichkeit. Eine dunkelhaarige, dunkeläugige Frau in einem kirschroten Wagen, aus der Perspektive eines unsichtbaren Mannes gesehen, der neben ihr auf dem Beifahrersitz saß. Palmen. Rote Bougainvillea. Der lichtgesprenkelte Ozean.
     
    Harrison's Antiques lag am südlichen Ende von Laguna Beach, am Pacific Coast Highway. Es war ein elegantes zweistöckiges Artdeco-Gebäude, das einen reizvollen Kontrast zu den Auslagen in den großen Schaufenstern bildete – Antiquitäten aus dem 18. und 19. Jahrhundert.
    Glenda Dockridge, Hatchs Assistentin und Geschäftsführerin, half Lew Booner, dem »Mann für alles«, beim Abstauben. In einem großen Antiquitätenladen hatte das Staubwischen Ähnlichkeit mit dem Streichen der Golden-Gate-Brücke: Wenn man endlich fertig war, konnte man gleich wieder von vorne anfangen. Glenda war blendender Laune, weil sie einen schwarzen Schrank aus dem Second Empire mit Bronzeverzierungen und Lackmalerei und – demselben Kunden – einen polygonen Tisch mit kunstvollen Intarsien, eine italienische Arbeit des 19. Jahrhunderts, verkauft hatte. Kein Wunder, daß Glenda sehr zufrieden war – schließlich arbeitete sie auf Provisionsbasis.
    Während Hatch die Post durchsah, die wichtigste Korrespondenz erledigte und zwei Rosenholzpostamente mit eingelegten Jadedrachen prüfte, die ein Agent in Hongkong aufgetrieben hatte, half Lindsey beim Staubwischen. In ihrer neuen Geistesverfassung machte ihr sogar diese lästige Arbeit Spaß, denn sie gab ihr Gelegenheit, die Einzelheiten der Antiquitäten zu bestaunen – die Kreuzblume an einer Bronzelampe, die Schnitzerei eines Tischbeins, die spitzenartigen Ränder an englischem Porzellan aus dem 18. Jahrhundert. Bei jedem Gegenstand dachte sie über seine Geschichte und kulturelle Bedeutung nach, und dabei kam ihr die Erkenntnis, daß ihre neue Lebenseinstellung eigentlich viel mit Zen zu tun hatte.
     
    Bei Anbruch der Abenddämmerung spürte Vassago offenbar, daß die Nacht nun nicht mehr fern war. Er erwachte und setzte sich in seiner gruftartigen Heimstatt auf, erfüllt von Hunger nach dem Tod und von dem Bedürfnis zu morden.
    Das letzte Bild aus seinem Traum, an das er sich erinnern konnte, war die Frau im roten Auto. Allerdings hatte sie jetzt nicht mehr den Wagen gesteuert, sondern stand in einem Raum, den er nicht deutlich erkennen konnte, und wischte mit einem weißen Tuch einen chinesischen Paravent ab. Sie drehte sich um, so als hätte er mit ihr gesprochen, und lächelte.
    Ihr Lächeln war so strahlend, so lebensfroh, daß Vassago ihr Gesicht mit einem Hammer zertrümmern, ihre Zähne ausschlagen, ihre Kieferknochen zermalmen wollte, damit sie nie wieder lächeln konnte.
    Er hatte in den letzten

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