Das verstummen der Kraehe
verräumen noch ein paar Kisten, und Henrike und Kris besorgen für uns alle etwas zu essen.«
Die Temperaturen waren immer noch so mild, dass wir hinter dem Haus an Simons verwittertem Holztisch unterhalb seiner Wohnung saßen. Ein leichter Wind mischte die unterschiedlichsten Düfte aus dem Kräutergarten und wehte sie zu uns herüber. Die Sterne glitzerten am wolkenlosen Himmel. Unter anderen Umständen hätte es ein Abend zum Träumen sein können.
Simon und Arne unterhielten sich mit schwerer Zunge über den Bordeaux, den sie in ihren Gläsern schwenkten, Henrike war in ihrem Trödelladen auf der Suche nach etwas Süßem zum Nachtisch, und ich stapelte die leer gegessenen Teller übereinander. Mein Vater schien tief in Gedanken zu sein und warf in regelmäßigen Abständen Blicke zur Wohnung seiner Frau hinüber, als wolle er nicht wahrhaben, dass ihre Spätschicht im Hotel auch an diesem Abend bis Mitternacht dauern würde. Meine Mutter war nicht unschuldig an seiner Verunsicherung. Mal versorgte sie ihn mit Köstlichkeiten aus ihrer Küche, um dann wieder wie eine Auster dichtzumachen und ihn nicht an sich heranzulassen. Was sie wirklich wollte, hätte ich nicht sagen können, vermutlich wusste sie es selbst nicht.
Die Pizza lag mir schwer im Magen. Den anderen ging es wohl ähnlich, immerhin hatten Henrike und ich uns bei der Bestellung für die Variante XXL entschieden. Als Simon die Pizzen hatte schneiden wollen, war ihm aufgefallen, dass zwei seiner großen Messer fehlten. Nach meinen nächtlichen Wanderungen zwischen unseren Wohnungen hatte ich vergessen, sie zurückzubringen. Ich hatte ihm eine fadenscheinige Erklärung aufgetischt, die er nur deshalb schluckte, weil er wegen des vielen Weins nicht mehr klar denken konnte. Am Morgen würde ich die Messer zurückbringen.
Da ich nur ein Glas Wein zum Essen getrunken hatte, war ich fast so nüchtern wie Henrike, die wie immer keinen Tropfen anrührte. Sie kam mit einer Tüte Mäusespeck zurück und setzte sich wieder. Als mit den drei Männern irgendwann kein vernünftiges Wort mehr zu wechseln war, verzogen wir uns auf zwei Liegen im Garten. Ich schaute in den Sternenhimmel, während Henrike mit geschlossenen Augen rauchte. Nach einer Weile gesellte sich Rosa zu uns und kuschelte sich sogar zu mir auf die Liege, nachdem sie vorhin noch vor mir zurückgeschreckt war. Ich hatte sie zur Begrüßung streicheln wollen, aber sie hatte die Rute eingezogen und war verschwunden. Momente wie dieser riefen mir immer wieder ins Bewusstsein, dass wir nichts über ihr Vorleben wussten. Manchmal reichte eine Bewegung oder ein bestimmter Geruch, und sie wurde an frühere Erfahrungen erinnert. Jemand hatte sie auf einem Autobahnparkplatz angebunden zurückgelassen. Simon hatte sie dort gefunden und mitgenommen.
»Denkst du oft an dein früheres Leben?«, fragte ich Henrike.
»Wie kommst du jetzt darauf?«
»Ich habe über Rosa nachgedacht und über ihre seltsame Reaktion, als ich sie vorhin begrüßt habe. Wahrscheinlich habe ich irgendeine blöde Bewegung gemacht, die sie erschreckt hat. In solchen Momenten merkte ich, dass es ihr nicht immer so gut gegangen ist wie jetzt bei uns.«
»Reagiere ich auch seltsam?« Es klang, als würde sie schmunzeln.
»Höchstens eigen.« Ich lachte leise, wurde aber gleich wieder ernst. »Um neu anzufangen, muss man einiges hinter sich lassen. Ist dir das nicht schwergefallen? Ich meine, du musst Freunde gehabt haben in deinem früheren Leben, Familie, vielleicht auch einen Mann.«
»Einmal Einzelgängerin, immer Einzelgängerin. Daran ändern weder Lebensumstände noch Umfeld etwas. Du hast übrigens Kinder in deiner Aufzählung vergessen.«
Der Gedanke, Henrike könnte Kinder haben, lag mir völlig fern. »Hast du Kinder?«
»Nein.«
»Hättest du gerne welche?«
Sie schwieg einen Augenblick. »Es hat mal eine Zeit gegeben, da hätte ich mir vorstellen können, ein Kind großzuziehen. Aber das war nur eine kurze Phase, die vorüberging.«
»Warum hast du dir ein Kind gewünscht?«
»Warum?« Sie schien über die Frage nachdenken zu müssen. »Um es in Liebe aufwachsen zu sehen«, antwortete sie schließlich und schien dabei immer noch tief in Gedanken zu sein.
»Und der Mann, mit dem du dir dieses Kind gewünscht hast, hat der das auch so gesehen?«
»Was möchtest du denn eigentlich wissen, Kris?«
Ich atmete tief durch. »Simon hat mich vor ein paar Tagen gefragt, warum ich unbedingt ein Kind haben möchte. Ich habe
Weitere Kostenlose Bücher