Das verstummen der Kraehe
verhören könnte? In meinen nicht. Nur, wo könnte es eine Verbindung zwischen meinem Bruder und diesen Leuten gegeben haben? War es seine Homosexualität? Hatte er ein Verhältnis mit einem der Männer? Hat er für einen von ihnen gearbeitet? Hat …?«
»Ihr Bruder hat Informatik studiert, nicht wahr?« Martin Cordes runzelte die Stirn und kniff konzentriert die Augen zusammen. Er blätterte in dem Ordner, bis er gefunden hatte, wonach er suchte. »Hier. Eines der Themen, mit denen Konstantin Lischka sich vor seinem Tod beschäftigte, betraf die Hackerszene. Er …«
»In den Unterlagen von Theresa Lenhardt steht, er habe an einer Reportage über Steuerflüchtlinge gearbeitet. Da stand nichts von der Hackerszene.«
»Das Thema hatte er gerade erst ins Auge gefasst. Es ging dabei um eine kriminelle Gruppe von Hackern. Konstantin Lischka hat einem Kollegen gegenüber angedeutet, er wolle versuchen, an einen Informanten mit Verbindungen zu dieser Gruppe heranzukommen. Wenn ihm das gelänge, könnte der Artikel ein Knaller werden.« Martin Cordes sah mich erwartungsvoll an.
»Hey, das ist hoffentlich nicht Ihr Ernst. Die Tatsache, dass mein Bruder Informatik studiert hat, bedeutet noch lange nicht, dass er etwas mit der Hackerszene zu tun hatte. Hätte es da eine Verbindung gegeben, wäre das bei den Untersuchungen der Kripo mit Sicherheit ans Licht gekommen.«
»Lischkas Kollege hat es der Kripo gegenüber nicht erwähnt.«
»Wieso nicht?«
»Weil Konstantin Lischka wohl ständig zehn solcher Vorhaben im Kopf herumgegeistert sind. Realisiert hat er dann höchstens eines oder zwei. Das Thema Hackerszene habe damals noch in der Pipeline gesteckt, sei also überhaupt nicht spruchreif gewesen.« Martin Cordes schlug den Ordner zu. »Das ist die einzige Verbindung, die ich zu Ihrem Bruder sehe.« Er schlug ein Bein übers andere und sah mich an.
Ich hatte Bens Stimme noch im Ohr, als einmal die Sprache auf dieses Thema gekommen war. »Wissen Sie, was mein Bruder Ihnen jetzt gesagt hätte? Diese Leute müssen nicht erst Informatik studieren, um ihre Fertigkeiten auszubilden, die beherrschen bereits als Siebenjährige diverse Programmiersprachen. «
»Ich kann Ihnen sagen, was ich Ihrem Bruder entgegengehalten hätte: Um richtig gut hacken zu können, muss man die Betriebssysteme bis ins Detail kennen, man muss ein Hardcore-Programmierer sein und die Sprache des Computers verstehen. Vom Schwierigkeitsgrad her ist es so, als müsse man nicht nur Mandarin, sondern auch alle chinesischen Dialekte fließend sprechen. Für Hacken auf hohem Niveau ist ein Leistungskurs in Mathe fast schon Minimalvoraussetzung. Und ohne algorithmisches Denken geht gar nichts. Könnte es sein, dass Ihr Bruder diese Leute bewundert hat?«
»Möglich. In jedem Fall fühlte er sich ihnen unterlegen. Er meinte, jemandem wie ihm seien sie um Meilen voraus.«
»Hätte das ein Ansporn sein können?« Er lächelte mit einem Anflug von Ironie. »Immerhin liegt der Ehrgeiz in der Familie. Bevor Sie das jetzt aber missverstehen: Mir ist ein gewisser Ehrgeiz sympathisch. Nur nicht gerade an Sonntagen. Vielleicht könnten wir beim nächsten Mal …«
»Nein … ich meine, ich werde Sie ganz bestimmt nicht noch einmal so … überfallen.« Für mein Gestammel wäre ich am liebsten im Erdboden versunken. Ich stand auf und ging Richtung Terrassentür. »Danke für das Wasser und die Informationen.«
Er kam mir hinterher und lehnte sich vor mir in den Türrahmen. »Wohin fahren Sie jetzt?«
»Nach Hause.«
»Wartet dort ein Mann auf Sie?«
»Ja.« Ich ignorierte meinen schneller werdenden Puls, wich seinem Blick aus und betrachtete den Garten, als hätte ich noch nie ein solches Gestrüpp gesehen.
»Würde dieser Mann dort nicht warten, hätte ich dann eine Chance?«
»Nein«, antwortete ich und drängte mich an ihm vorbei. Ich lief davon, ohne mich noch einmal umzudrehen.
8
»Schlechtes Gewissen und Herzklopfen«, sagte ich am Montagmorgen zu Alfred, der sich weniger für meine Worte als für die Walnussstückchen interessierte, die ich vor ihn auf den Tisch legte. »Solche Probleme kennst du vermutlich nicht.«
Die Krähe sah mich erwartungsvoll an. Auf dem Kopf hatte Alfred einen Wirbel im Gefieder, durch den ich ihn auch aus einem ganzen Schwarm herausgekannt hätte. Ich spendierte ihm eine weitere Walnuss und sog den Duft des Quittenbaums ein, als ließen sich damit meine Gedanken vertreiben. Mit der Nuss im Schnabel flog Alfred davon.
Ich
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