Das verstummen der Kraehe
Erben verbunden hat.«
Henrike hob eine Hand, um meinem Widerspruch Einhalt zu gebieten. »Lass uns mal ein wenig spinnen. Angenommen, Ben hätte tatsächlich gehackt: Dann können wir Nadja Lischka mit ihrer Yogaschule und Rena Velte mit ihrem Gartenbaubetrieb von vornherein ausschließen. Für deren Daten würde sich wohl kaum ein Hacker interessieren. Bleiben also noch Tilman Veltes Unternehmensberatung und das Angermeier-Lenhardt’sche Kinderwunschinstitut. Hier wie dort geht es um sehr sensible Daten.«
»Das ist Kleinkram, Henrike. Professionellen Hackern geht es um richtig große Datenbanken, um echte Herausforderungen.«
»Und wenn der eine oder andere von denen nun dem Credo folgt, Kleinvieh mache auch Mist? Sehr viel Kleinvieh macht übrigens erst recht Mist. Da könnte es durchaus um beachtliche Summen gegangen sein.«
Ich stand auf und kickte mit dem Fuß einen Stein ins Wasser. Henrikes Überlegungen fühlten sich an wie schleichendes Gift und lenkten meine Gedanken in eine ungute Richtung. »Ben war experimentierfreudig, und er hat es mit der Ehrlichkeit nicht immer so genau genommen. Aber er war nicht kriminell und schon gar kein Erpresser.«
»Wovon hat er gelebt? Haben deine Eltern ihn unterstützt?«
»Eine kleine Buchhandlung wirft nicht viel ab. Ben hat neben den Softwareentwicklungen noch in einer Kneipe gejobbt. Er hat sein Geld verdient, nicht erpresst.« Ich versuchte, die eingeschlagene Richtung zu wechseln. »Sollte es eine Verbindung zum Lenhardt-Kreis gegeben haben, dann wohl eher über Bens Homosexualität. Denn wenn wirklich stimmt, dass Beate Angermeier ein Verhältnis mit Fritz Lenhardt hatte, bedeutet das noch lange nicht, dass dieser bewusste Satz genauso gelautet hat, wie sie es vorgibt. Sollte Rena Velte sich an jenem Abend in der Gästetoilette nicht verhört haben, dann nutzt Beate Angermeier ihre Affäre dazu, mich von der Spur zu Ben abzubringen.«
»Konstantin Lischka hätte also Fritz Lenhardt oder einen der beiden anderen Männer mit Ben gesehen und sein Wissen für eine kleine Erpressung ausgenutzt haben können. Aber woher sollte dieser Journalist deinen Bruder gekannt haben?«
»Von den Plakaten, die ich überall aufgehängt habe. Außerdem wurde in den Zeitungen über Bens Verschwinden geschrieben.« Ich bückte mich, nahm eine Handvoll Steinchen und warf sie in einer schnellen Folge ins Wasser.
»Hat Ben dir etwas über seine Beziehungen erzählt?«
»Wenn, dann nur in vagen Andeutungen. Eigentlich hab ich es immer eher gespürt, wenn es jemanden gab. Darüber gesprochen hat er kaum.«
»Gab es vor seinem Verschwinden jemanden?«
»Nein, da war er schon eine Weile solo.«
»Könnte Ben anfällig gewesen sein für Unterstützungsleistungen älterer Herren?«
Ich wirbelte herum und wäre beinahe auf den glitschigen Steinen im Wasser ausgerutscht. »Jetzt gehen aber die Pferde mit dir durch, Henrike!«
Der Fall Lenhardt war dabei, meine anderen Verpflichtungen in den Hintergrund zu drängen. Und das durfte nicht geschehen. Kurz bevor Funda kam, schickte ich den fünf potenziellen Erben eine Mail und sagte den Nachmittagstermin wegen Arbeitsüberlastung ab. Sie würden sich lediglich dafür einsetzen, die Angelegenheit schnell über die Bühne zu bringen. Ich brauchte Zeit, um mich weiter an Bens Fersen zu heften.
Als sich Funda um kurz nach acht an ihrem Schreibtisch niederließ, konnte sie den Blick kaum von den Ringen unter meinen Augen lösen. Sie runzelte die Stirn, sagte aber nichts.
»Manchmal schlafe ich schlecht. Das liegt am Wetter. Aber ich brauche ohnehin wenig Schlaf.«
»Aha.« Das war ungewöhnlich wortkarg für Funda. Vermutlich mochte sie keine Halbwahrheiten.
»Was hältst du davon, wenn wir losfahren und uns ein Haus ansehen? Die Wertsachen und Dokumente müssen gesichert werden.«
Mit einem spitzbübischen Lächeln zog sie aus ihrer Tasche Turnschuhe und ein Tuch hervor, das sie über ihre Haare band. »Kann losgehen.«
Mit Einmalhandschuhen und zwei frisch gewaschenen Overalls im Gepäck machten wir uns auf den Weg nach Untermenzing. Auf der Fahrt erwachte Fundas Redefreude zu neuem Leben. Gut gelaunt erzählte sie, was sie und ihr Mann am Wochenende alles mit ihrer kleinen Tochter unternommen hatten. Badesee, Grillplatz, Spielplatz, Fahrradtour. Und das an jedem Tag.
»Und du?«, fragte sie, als wir unser Ziel fast erreicht hatten.
»Ich habe gearbeitet.«
»Aha.«
»Es ging nicht anders.«
»Das Wochenende durchzuarbeiten
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