Das verstummen der Kraehe
vergaß so etwas nicht.
»Funda …«, rief ich Richtung Küche.
Sie kehrte mit einem Tablett ins Büro zurück, auf dem zwei kleine, geschwungene Teegläser, eine Zuckerdose und eine Doppelkanne standen. »Möchtest du deinen Tee hell oder dunkel?«, fragte sie. »Dunkel ist sehr stark.«
»Dann dunkel.«
Aus der kleinen oberen Kanne füllte sie zwei Drittel Tee ins Glas und goss dann aus der unteren Kanne heißes Wasser auf. Ihre eigene Mischung geriet deutlich heller als meine.
Ich nahm mir zwei Stück Zucker aus der Dose und ließ sie ins Glas fallen. »Könntest du bitte gleich noch mal die fünf Leute anrufen, die du schon für vergangenen Freitag hierherbestellt hast?«
»Worum geht es bei denen eigentlich?«
»Um sehr viel Geld, das ihnen unter einer bestimmten Bedingung vererbt wird.«
In Fundas Augen funkelte es schelmisch. »Sollen sie etwa heiraten und kleine Erben in die Welt setzen, wie im Film? Oder auf ewig in einer WG zusammenleben – bis dass der Tod sie scheidet? Etwas in der Art?«
Ich schüttelte lachend den Kopf und nahm einen Schluck Tee. Dann erzählte ich ihr von Theresa Lenhardts Testament.
»Die Frau hat ein Kopfgeld ausgesetzt«, brachte Funda es schließlich auf den Punkt. Aus ihrem Mund klang es wie eine prima Idee. »Und haben sie sich schon gegenseitig beschuldigt?«
»Bisher halten sie noch zusammen.«
»Ist bestimmt nur eine Frage der Zeit«, meinte Funda und prostete mir mit ihrem Teeglas zu. »Was soll ich denen also sagen?«
»Lade sie ein, morgen um siebzehn Uhr vollzählig hier zu erscheinen.«
Funda nippte an ihrem Tee. »Weißt du, was ich bei dieser Arbeit genial finde? Die Leute sind alle so heiß aufs Erben, dass sie wahrscheinlich auch sonntagmorgens um sechs hier antanzen würden. Beim ersten Mal habe ich noch angenommen, es würde verdammt schwierig, fünf Leute terminmäßig unter einen Hut zu bekommen. Aber jetzt …« Sie rieb sich die Hände und drehte sich zum Telefon. »Eine Spur diebische Freude ist schon dabei«, sagte sie über die Schulter hinweg, bevor sie zum Mobilteil griff.
Mein Blick wanderte zu Rosa. Auch sie würde an dem Termin teilnehmen. War mein Angreifer einer der fünf, würde sich das ziemlich schnell beweisen lassen. Und noch jemand würde teilnehmen. Ich nahm mein Handy und schrieb Henrike eine SMS: Morgen, siebzehn Uhr, Treffen mit den Erben. Könntest du als stille Beobachterin daran teilnehmen? Es dauerte keine Minute, bis ich eine Antwort erhielt. Nichts lieber als das!
10
Seit dem Frühstück hatte ich nichts mehr gegessen, sondern nur Fundas köstlichen Tee getrunken. Inzwischen war es nach sechs, und mein Magen hatte auf höchste Alarmstufe geschaltet. Eigentlich hatte ich noch Post bearbeiten und die Nachrichten auf dem Anrufbeantworter abhören wollen, aber das musste bis morgen warten. Ich ließ alles stehen und liegen und lief mit Rosa im Schlepptau hinüber zum Nebengebäude.
Simon stand in seinem Laden und öffnete gerade eine Probeflasche für einen Kunden. Als Rosa voll überschwänglicher Freude an ihm hochsprang, wäre ihm die Flasche beinahe aus der Hand gerutscht. Er stellte sie ab, bat den Mann um einen Moment Geduld und begrüßte die Hündin, bevor ich einen Kuss bekam. Allen Theorien, die diese Reihenfolge als schädlich für die Hierarchie im Rudel verpönten, zum Trotz, machte ich es im umgekehrten Fall genauso. Rosa respektierte uns deshalb keinen Deut weniger. Nur an der Sache mit dem Hochspringen würden wir noch arbeiten müssen.
»Hast du Zeit, mit mir essen zu gehen?«, fragte ich Simon. »Ich komme um vor Hunger.«
»Wohin willst du?«
»Ins Menzingers .«
»Wenn es für dich in Ordnung ist, dann fahr doch schon mal vor, ich komme in einer halben Stunde nach. Okay?«
Ich nickte. »Soll ich Rosa mitnehmen?«
»Das wäre toll.« Er legte eine Hand um meinen Nacken und wollte mich an sich ziehen.
Ich zuckte zusammen und wand mich aus seiner Hand.
»Was ist?«, fragte Simon irritiert.
»Mein Nacken tut weh, ich habe ihn mir heute Nacht verlegen.«
Er legte seine Hand auf meine Wange. »Dann werde ich ihn dir später massieren.«
Ich nickte. Mir würde schon etwas einfallen, um ihn davon abzuhalten.
Nachdem ich Halsband und Leine geholt hatte, setzte ich mich aufs Fahrrad und wollte gerade losradeln, als wieder einmal Nadja Lischka am Tor auftauchte und mir den Weg versperrte.
»Ich habe wirklich keine Zeit, Frau Lischka«, versuchte ich sie abzufertigen.
»Aber ich muss Sie sprechen.
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