Das verstummen der Kraehe
Es ist dringend.«
Neugierig lief Rosa auf die Frau zu und wedelte, als sie mit ihr sprach. Die Witwe mit den blonden Locken hatte mich definitiv nicht unter Wasser gedrückt und Rosa einen Tritt versetzt. »Hat meine Mitarbeiterin Sie nicht erreicht? Für morgen um siebzehn Uhr habe ich hier ein Treffen anberaumt.«
»Ich muss Sie vorher sprechen!«
»Und ich muss etwas essen. Tut mir leid.«
»Das trifft sich gut, ich habe auch Hunger. Wenn es Ihnen recht ist, leiste ich Ihnen ein paar Minuten Gesellschaft.«
Es war mir nicht recht, aber letztlich siegte meine Neugierde. »Dann in zehn Minuten im Menzingers auf der Menzinger Straße. Haben Sie ein Navi?«
Mit einem Nicken machte sie auf dem Absatz kehrt und lief zu ihrem Auto. Während ich losradelte, überlegte ich, Simon per SMS vorzuwarnen, entschied mich dann jedoch dagegen. Vermutlich nahm ihn sein Kunde ohnehin länger als eine halbe Stunde in Anspruch. Den Leitspruch, der Kunde sei König, schien er erfunden zu haben. Manchmal ging mir das auf die Nerven, aber ich sah ein, dass sich genau darauf sein Erfolg gründete. Guten Wein verkauften viele, mit so viel Herzblut taten es nur wenige.
Das Restaurant war gut besucht an diesem Abend. Nadja Lischka hatte auf der Terrasse am Rand des Spielplatzes einen der letzten beiden Tische ergattert und studierte bereits die Karte. Ich breitete für Rosa eine Decke neben meinem Stuhl aus und konzentrierte mich auf die Tafel mit den Tagesempfehlungen.
Nachdem wir Weißwein, Wasser und Tagliatelle mit Steinpilzen bestellt hatten und ich endlich auf einem Stück Brot kaute, richtete ich meine Aufmerksamkeit auf Konstantin Lischkas Witwe. Ich war mir noch immer nicht im Klaren, wie ich sie einzuschätzen hatte. Mal wirkte sie zart und zerbrechlich, mal aufbrausend und durchsetzungsfähig. »Was ist so dringend, dass es nicht bis morgen warten kann?«, fragte ich.
Sie nahm sich ebenfalls ein Stück Brot, anstatt es jedoch zu essen, zerbröselte sie es und vergewisserte sich mit einigen Seitenblicken, dass auch niemand zuhörte. »Für mich wäre es ein Desaster, wenn Sie das Erbe dem Tierschutzverein zuschlagen würden, Frau Mahlo. Ich habe zwei Kinder großzuziehen und muss immer noch die restlichen Schulden abzahlen, die mein Mann mir hinterlassen hat.«
Wie oft hatte ich solche und ähnliche Sätze schon gehört? Meine Antworten konnte ich inzwischen fast im Schlaf herunterbeten. »Ihre finanzielle Situation tut mir sehr leid, darf mich jedoch bei meiner Arbeit nicht beeinflussen. Ich bin ausschließlich Theresa Lenhardt verpflichtet.«
Nadja Lischka wollte gerade etwas erwidern, als der Keller Mineralwasser und Wein auf den Tisch stellte. Mein Blick wanderte zu zwei Kindern, die unter fröhlichem Geschnatter auf der Wippe herumturnten.
»Es gibt ein paar Tatsachen, die vor Gericht nicht zur Sprache gekommen sind«, sagte sie.
Ich löste meinen Blick von den Kindern und nahm einen Schluck Wein. »Und zwar?«
»Ich fange mal bei Tilman an. Ich weiß nicht, ob es sich heute noch so verhält, aber vor ein paar Jahren kam er hin und wieder an Insiderinformationen über börsennotierte Unternehmen, aber auch über geplante Übernahmen, die börsenrelevant werden konnten. Er selbst durfte diese Informationen als involvierter Unternehmensberater nicht verwenden, um nicht wegen Insiderhandels belangt zu werden. Deshalb hat er sie unter der Hand an Fritz und meinen Mann für Aktienspekulationen weitergegeben.«
»Und wurde von den beiden an den Gewinnen beteiligt?«
»Ja.«
Also waren die Fehltritte als Bankangestellter doch nicht seine einzigen geblieben. Interessant, was sich alles hinter der Maske dieses Gentlemans verbarg. »Das heißt, es gab damals drei Freunde, die lukrative Geschäfte miteinander betrieben haben. Zwei dieser Männer sind tot, einer lebt.«
Sie drehte das Weinglas zwischen den Händen. »So habe ich das nicht gemeint. Es geht mir nur darum, Ihnen zu zeigen, dass vor Gericht längst nicht alles zur Sprache gekommen ist. Nicht jedes Motiv. Konstantin stand sehr unter Druck damals. Wir brauchten dringend viel Geld, um die Schulden abzuzahlen, und er hat sicher nicht die ehrenhaftesten Methoden angewandt, um da ranzukommen.«
Ich spürte die ersten Schlucke Wein bereits im Kopf und nahm mir ein weiteres Stück Brot.
»Außerdem habe ich Konstantin damals sehr unter Druck gesetzt, weil ich nicht wusste, wie es weitergehen sollte. Jedes Mal, wenn ich darüber nachdenke, sage ich mir: Er wäre
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