Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)
sein.«
Da drehte er sich rum. Ari. »Hey, benimm dich«, sagte er.
Er hatte grüne Augen, genau wie Dan, ein Junge, den ich in der Mittelstufe, als ich noch total langweilig war, geliebt hatte. Aber Ari sah mich jetzt an, als wäre ich alles andere als langweilig.
Wirklich, ich schwör’s!
Ich schaute zu Boden.
Dann sagte er: »Du bist schön.«
Und ich konnte es nicht sehen, aber Hagar, Amit und Neta schworen, dass er mich noch lange ansah.
Zurück in unserem Container glühte mein Gesicht. Es war zwölf Uhr mittags. Garantiert hatte eins der Mädchen ihn auf die Idee gebracht.
In den ersten zwei Wochen nach meinem Zwangseinzug sprachen Hagar, Amit und Neta kein Wort mit mir. Ich hatte immer geglaubt, kein Mädchen der Welt könnte eine Mädchenherde so im Griff haben wie Lea, bis ich Hagar kennenlernte. Die Zahl der Jungs, mit denen jede von den dreien angeblich geschlafen hatte, war zweistellig, während ich seit sieben Jahren denselben Freund hatte und nur einmal mit einem kleinen russischen Soldaten fremdgegangen war. Sie hassten die Vorstellung, dass ich oder irgendwer sonst einen festen Freund hatte. Und ich hasste Moshe, meinen festen Freund.
Es war nicht seine Schuld, dass ich anfing, ihn zu hassen. Es war das erste Passahfest, das ich bei ihm verbrachte. Ich war sechzehn. Ich war leidenschaftlich. Ja, okay, ich war leidenschaftlich. Ich redete leidenschaftlich über die Arbeitsimmigranten, über die Einwanderungspolitik und das alles. Ich war jung. Ich redete sehr schnell. Es war schon nach Mitternacht. Das Abendessen war vorbei und wir hatten das letzte Gebet für den Tag gesprochen. Das weiße Tischtuch hatte rote und gelbe Flecken. Leere Weinflaschen, dreckige Servietten, Zahnstocher, Hühnerknochen. Seine Cousine war zwölf. Sie lispelte. Sie hörte mir zu. »Ich fass’ es nicht, dass wir die Menschen, die unsere Häuser bauen, so behandeln!«, sagte sie. Sie wusste wirklich nicht, wie unser Land mit Arbeitsimmigranten umging, und wollte mehr darüber wissen. Ich redete schneller. Ich erzählte mehr. Ich war sechzehn. Ich bin nicht mal sicher, ob es an meinem ständigen Reden oder einfach an meinem Aussehen lag. Ich war kein hübsches Mädchen, das wusste ich.
Ich kann mich noch an die schwere Hand seines Vaters auf meiner Schulter erinnern. Der Weingeruch, als er den Mund öffnete. Er unterbrach mich mitten im Satz. »Ich sag’ dir bloß eins, mein Sohn, ich hoffe für dich, dass sie wenigstens gut im Bett ist.«
Die anderen taten so, als hätten sie es nicht gehört. Er war betrunken; da rutschte einem so was eben raus. Ich machte meinem Freund keine Vorwürfe. Ich hasste ihn. Es ging mir nicht darum, seinem Vater das Gegenteil zu beweisen. Es ist einfach so passiert. Als wir miteinander schliefen, löste ich in Gedanken quadratische Gleichungen.
Als wir vor dem Krieg das letzte Mal zusammen im Bett waren, fragte ich, »warum macht deine Mutter immer Tahini in den Auberginensalat?« Er machte weiter. Am Deckenventilator war ein Aufkleber, den ich von einer Orange abgepult hatte. Bei meinem letzten Besuch vor einem Monat hatte ich ihn da hingeklebt, damit ich mich auf etwas freuen konnte, wenn ich zurückkam.
»Ich hasse Tahini«, sagte ich. »Auberginen mit Mayo schmecken viel besser.«
»Was?«, sagte er. Er keuchte. Es war Freitagnacht. Wir hatten das Sabbatabendessen gerade erst beendet. Auberginen waren mein Lieblingsgemüse. Seine Mutter wusste das. Ich hasste Tahini. Das wusste sie auch. Er war mir zu schwer, das Zimmer zu heiß; das machte mich schnell wütend.
»Weil sie geizig ist, darum«, sagte ich. »Sie weiß, dass sich Tahini länger hält als Mayo.«
»Shh«, sagte er. »Die hören uns sonst.«
Hören uns, wie wir über Auberginen reden? Ich beobachtete wieder den Aufkleber, noch eine Runde und noch eine und –
Als Hagar mich endlich ansprach, spät abends im Dunkeln, während wir vier auf unseren Feldbetten lagen, war es ein Kinderspiel, ihre Frage zu beantworten.
»Natürlich male ich mir aus, mit anderen Jungen zu schlafen. Einmal hab ich’s sogar mit einem Soldaten gemacht, den ich trainiert habe. Und ich denke an Ari, den Amerikaner. Ständig. Sogar jetzt.«
Die anderen Fragen der Mädchen zu beantworten, war auch nicht schwerer.
»Natürlich würden Ari und ich es draußen machen!«
»So groß, wie der ist, muss er einen großen haben.«
Die drei Mädchen waren schon bald die nächtliche Zuhörerschaft meiner Fantasien. Ich hatte Freundinnen.
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