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Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Titel: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shani Boianjiu
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Offizier Nadav saß auf einem weißen Plastikstuhl und knackte mit den Fingern. Er hatte die beiden im Blick.
    Auf dem Ausweis, den Gali Avishag zeigte, stand »Momo Levin«. Dem Ausweis nach, der ziemlich echt aussah, kam er aus einem Vorort von Tel Aviv. Neben ihm auf dem Beifahrersitz saß ein Ägypter. In seinem Pass stand »Nadim Al-Hamid« und auch der sah echt aus, fand Avishag.
    »Hallo Momo«, sagte Avishag und beugte sich vorsichtig in Richtung Fahrerfenster vor, das M16 wie vorgeschrieben auf ihn gerichtet. »In deinem Ausweis steht, dass du in der Nähe von Tel Aviv wohnst. Was machst du so weit unten im Süden?«
    »Ach komm schon, Kumpel, was soll das?«, sagte Momo. Avishag fragte sich, ob sie für ihn wirklich wie ein Mann aussah, das Gewehr auf ihn gerichtet und die Haare alle unter dem Helm. Oder vielleicht war es auch nur so, dass es irgendwie und irgendwo ein Einverständnis darüber gegeben hatte, dass jeder eine Art Kumpel war, und sie das als Einzige nicht mitbekommen hatte.
    »Tut mir leid«, sagte Avishag, »aber ich muss dich bitten, hinten aufzumachen.«
    Avishag und Gali hatten beide schon mal ein öffentliches Dixie-Klo benutzen müssen, das länger als zwei Wochen nicht sauber gemacht worden war. Beide wussten, wie ein Hemd roch, das nach einem Boden-Training an den Ellenbogen durchgeblutet war, und sie beide wussten, wie es stank, wenn man es am nächsten Tag noch mal anziehen musste. Avishag kannte auch den Geruch der Brust eines Mannes, der tagelang nicht geduscht hatte, und den Geruch der dreckigen Haare. Sie kannte sogar den Geruch der Leiche ihres Bruders, und wie sich dieser Geruch mit dem von frischem Schlamm vermischte.
    Aber noch bevor die Tür des Transporters geöffnet wurde, war den beiden Mädchen klar, dass sie in ihrem ganzen Leben noch nie etwas so Schreckliches gerochen hatten. Der Gestank war so stark, dass Avishag mit letzter Kraft eine Haarsträhne unter ihrem Helm herauszog und sie sich unter die Nase klemmte. Sie merkte überhaupt erst, dass sie das tat, als ihr Kopf anfing zu pochen, weil sie so fest an der Strähne riss.
    Der Transporter war drei Schritte breit, und auf dem Boden saßen zwölf junge Frauen übereinandergestapelt. Eine von ihnen war ein Mädchen mit rundem Gesicht, und sie hatte ein Coca-Cola-T-Shirt an, aber keine Hose oder Unterhose. Die wenigen Stellen, die man vom Boden sah, waren braun und rot und feucht.
    Avishag schloss die Augen.
    Gali schloss die Augen.
    Gali öffnete die Augen. Avishag auch.
    Zwölf Paar Augen starrten sie an, warteten, atmeten, waren still.
    »Nadav!«, schrie Gali. »Nadav!«
    Offizier Nadav stand auf und kam langsam auf die Mädchen zu. Er versuchte, Avishag die Hand auf die Schulter zu legen, aber als er sie berührte, sackte sie zusammen und blieb auf allen vieren, atmete ein, atmete aus, atmete schneller.
    »Was gibt’s?«, fragte Nadav.
    »Frauen«, sagte Gali.
    »Wie viele?«, fragte Nadav.
    »Frauen und ein kleines Mädchen. Sie, Nadav –«, sagte Gali und zeigte ins Innere des Transporters.
    Momo und Nadim stiegen aus. Momo hatte den Arm über Nadims Schulter gelegt, und mehr als alles, was sie an diesem Abend gesehen hatte, war es dieser Anblick, der Avishag krank machte. Darum war sie zu Boden gegangen und dort auf allen vieren geblieben, darum atmete sie in ihr eigenes Erbrochenes.
    »Sie haben Pässe«, sagte Momo zu Nadav.
    »Und sie haben ihre Visa mit dem Stempel auf der Rückseite und alles«, fügte Nadim in gebrochenem Hebräisch noch hinzu. Er reichte Nadav einen Stapel roter Pässe.
    Nadav schaute auf die Pässe.
    »Nein«, schrie Gali. »Nicht, du brauchst gar nicht erst reinzusehen. Du weißt, dass sie abhauen wollen, Nadav«, brüllte Gali.
    Nadav sah Gali mit stummen Augen an. »Und woher willst du das wissen, Oberstabsgefreite Geva?«, fragte er. »Sprichst du vielleicht Ukrainisch?«
    Aber in dem Moment war Gali nicht mal mehr sicher, ob sie überhaupt noch Hebräisch sprechen konnte.
    »Kein Aber mehr oder du handelst dir ein Verfahren beim Stützpunktkommandanten ein. Ich bin der diensthabende Offizier, und ich sage, wenn sie Pässe und Visa haben, dann haben sie Pässe und Visa«, sagte Nadav.
    Bevor er die Transportertür schloss, streckte eine der Frauen ihren Hals so sehr, dass Gali zu hören glaubte, wie sich ihre Knochen dehnten.
    »Tschüss, Leute«, rief Momo, als er in seinem Transporter davonfuhr, hinter ihm eine Staubwolke, die Gali in Nase, Ohren, Mund und Poren drang, aber

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