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Das waren schöne Zeiten

Das waren schöne Zeiten

Titel: Das waren schöne Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Scott
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entsprungener Dieb, sondern, was in Walters Augen noch schlimmer war, ein Deserteur wurde.
    Es war nicht allein seine Schuld. Er konnte nichts für sein Naturell und daß er unter Claustrophobia, also Angst vor geschlossenen Räumen, litt. Untätigkeit war für ihn immer schon die Hölle gewesen und die Langeweile des Lagerlebens, ganz besonders nachdem er von Stuart getrennt war, wurde bald unerträglich für ihn. Als Resultat davon zog er es vor, den leichteren Weg einzuschlagen und brannte durch. Von da ab, verfemt als Deserteur, führte er ein gejagtes, mittelloses Dasein. Unter diesen Umständen, wie der Richter später bei seiner Verurteilung sagte, >ist ein Mann gezwungen zu stehlen, um zu überleben<.
    In seiner Verlassenheit und seinem Elend kehrte Dick verständlicherweise zu der Farm zurück, wo er sich immer wohl gefühlt hatte. Er tauchte am Weihnachtsabend auf, einem Zeitpunkt, wo jeder Mensch sich nach einem Zuhause sehnt. Aber hier zog Walter die Grenze. Unter den obwaltenden Umständen kann man es ihm wohl kaum übelnehmen, daß er sagte: »Du kannst hier vierundzwanzig Stunden bleiben, weil Weihnachten ist. Aber ich will keinen Deserteur in diesem Haus haben.« Wir sprachen die halbe Nacht mit ihm; nie hatte ich eine solch traurige Heilige Nacht erlebt! Schon glaubten wir gesiegt zu haben, und am folgenden Tage machten wir uns zusammen mit Frederick de la Mare, unserem Rechtsanwalt und Freund, auf den Weg, Dick nach Tretham zurückzubringen.
    Es war eine lange und erschöpfende Fahrt, obwohl wir damals bereits einen guten Wagen besaßen. Als wir das Lager erreichten, bat unser Freund, der selbst Offizier im ersten Weltkrieg gewesen war, um eine Unterredung mit dem Kommandanten. Sie hatte Erfolg. Alles sollte für Dick so leicht wie nur möglich gemacht werden. Er würde wahrscheinlich dreißig Tage Haft im Lagergefängnis bekommen; im übrigen sollte die ganze Angelegenheit als vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit behandelt werden. Wir ließen ihn dort und fuhren nach Wellington, wo meine Tochter und ich eine Nacht bei den Mulgans verbrachten. Die Erleichterung, zu wissen, daß Dick wieder in ein normales Leben zurückkehren würde, war ungeheuer; dennoch litt ich unter dem Schock, den mir die ganze Sache versetzt hatte.
    Allerdings blieb mir kaum Zeit, mich meinen Gefühlen hinzugeben, weil wir bereits in der Dämmerung des folgenden Tages aufbrechen mußten, um Frederick de la Mare nach Hamilton zurückzubringen und selbst heimzukehren. Es war fürchterlich heiß, und ich fuhr die ganzen vierhundert Meilen ohne Ablösung. Schließlich überfiel mich der Schlaf mit solcher Gewalt, daß ich noch auf dem letzten Stück der Pekanui vor unserer Abzweigung aussteigen und Kopf und Gesicht in einer kalten Quelle baden mußte. Um Mitternacht endlich erreichten wir unser Heim, erwartet von meinem besorgten Mann. Doch schon um fünf Uhr morgens bereits wurden wir durch einen Anruf aus Wellington geweckt. Dick hatte das Türschloß des Lagergefängnisses aufgebrochen und war verschwunden! Das Gefühl hoffnungsloser Unzulänglichkeit überschwemmte mich. Wir hatten unser Bestes getan. Ich wußte, daß nun niemand mehr helfen konnte.
    Von diesem Punkt ab ist Dick Humphrys Geschichte mehr oder weniger bekannt — seine zahllosen Eskapaden, die mit einer einsamen Reise nach Tasmania endeten, ausgerüstet nur mit einem Schulatlas für Navigationszwecke. Ich will mich nicht mehr länger darüber verbreiten. Diese ganze Affäre hat unser Leben in den Kriegsjahren, als wir ohnehin Sorgen genug hatten, noch komplizierter und schwieriger gemacht.
    Stuart kehrte noch einmal zu einem kurzen Urlaub aus Suva heim, wurde in den Mittleren Osten geschickt und traf dort gerade noch rechtzeitig ein, um an allen Gefechten durch Afrika und hinauf bis Cassino teilzunehmen. Zweimal stand er auf der Liste der Schwerverwundeten. Inzwischen hatte sich Walters Gesundheit derart verschlechtert, daß wir unbedingt dauernde Hilfe auf der Farm haben mußten. Er hatte mehrere Herzanfälle erlitten, und das Urteil der Ärzte besagte übereinstimmend, daß er zu jeder schweren Arbeit unfähig sei. Er aber lachte nur darüber und brachte es wahrhaftig fertig, dieser Verordnung noch weitere fünfzehn Jahre zu trotzen. Daß er damit Erfolg hatte, war bis zu einem gewissen Grad seiner Einstellung zu Krankheit und Tod zu verdanken: Zu jedem Menschen auf dieser Erde kommt der Tod früher oder später. Walter machte kein Hehl daraus, daß er es

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