Das Weinen der Engel (German Edition)
Die mexikanische Regierung schob die größte Schuld den US-Amerikanern zu, die mit ihrer unstillbaren Gier nach Drogen dieses schreckliche Gewerbe immer weiter anheizten.
Lark versuchte diese Gedanken zu verdrängen, als sie sich mit Chrissy zum Abendessen vorbereitete. Man hatte ihr und der Kleinen extra Kleidung dafür besorgt. Für sie ein wunderschönes wadenlanges weißes Sonnenkleid mit freien Schultern – der November war in Mexiko immer noch sonnig und warm. Zuerst kam es ihr etwas zu weit vor, doch nachdem sie die Schärpe am Rücken in der Taille zusammengebunden hatte, saß es perfekt.
Chrissy trug ein schlichtes pinkfarbenes Baumwollsatinkleid mit einer Doppelreihe Rüschen am Saum. Beide hatten dazu hübsche silberfarbene Sandaletten angezogen.
Auf einem Zettel, der neben den Kleidern lag, stand:
„Ich hoffe, die Kleider passen. Meine Schwiegertochter hat mir geholfen, sie auszusuchen. Es war sehr nett, Sie kennenzulernen, und ich freue mich schon auf heute Abend.
Dolores de La Guerra.“
Wie konnten diese Leute so einen normalen Eindruck machen? Sicher waren sie vom richtigen Leben derart abgeschirmt, dass sie gar keinen Bezug mehr zur Realität besaßen.
Eines wusste Lark ganz sicher: Solange sie sich in Ricardo de La Guerras Haus befanden, waren sie in Gefahr.
Sie nahm Chrissys Hand. „Bist du fertig, meine Süße?“
Die Kleine sah an sich herunter und bewunderte das pinkfarbene Satinkleid. „Das ist wirklich hübsch!“
Lark lächelte. „Ja, das stimmt. Aber lange nicht so hübsch wie du.“
Chrissy sah sie an und grinste.
Nach einem tiefen Atemzug öffnete Lark die Tür und lief mit Chrissy ins Wohnzimmer des Gästehauses. Dev wanderte vor dem kalten Kamin auf und ab. Er trug dieselben dunklen Hosen mit dem blau gemusterten Hemd, die sie schon in San Felipe bei ihm gesehen hatte. Er war geduscht und rasiert. Sein Haar, noch immer feucht vom Waschen, glänzte fast schwarz. Er sah so verdammt gut aus, dass sich ihr das Herz zusammenzog.
„Sieht so aus, als wären meine Damen bereit.“ Er musterte erst Chrissy, dann Lark und lächelte. „Ihr seid beide wunderschön.“
Chrissy blickte plötzlich ein wenig scheu auf ihre Füße, aber Lark konnte sehen, dass sie sich über das Kompliment freute.
„Es ist unglaublich, dass sie uns Kleidung gekauft haben“, sagte Lark und strich sich über das weiße Oberteil des Kleides.
„Es ist nicht sehr weit bis in die Stadt.“ Er sah sie mit diesen unglaublichen blauen Augen an, ließ den Blick über ihren Ausschnitt und die sanfte Kurve ihrer Hüften wandern. Einen kurzen Augenblick konnte sie die Sehnsucht in seinen Augen erkennen, das Verlangen, das er normalerweise gut zu verbergen wusste. Sie hielt den Atem an. Die Luft im Raum schien sich spürbar zu verdichten und zwischen ihnen zu wabern. Er wollte sie. Und jetzt wusste er, dass es ihr genauso ging.
Dev räusperte sich und brach so den Bann. Chrissy wirbelte herum, bis die pinkfarbenen Rüschen flatterten. „Die Señora hat schöne Kleider gekauft.“
Dev lächelte. „Das denke ich auch.“ Er blickte zu Lark. „Ich glaube, Señora de La Guerra mag dich. Schließlich bist du ja eine Berühmtheit.“
„Ich entwerfe Handtaschen. Deshalb zähle ich wohl kaum zu den Berühmtheiten.“
„Wie viele, hast du gesagt, besitzt sie von deinen?“
Lark grinste. „Fünf.“
„Na also, wusste ich’s doch …“
Ihr Lächeln verblasste. „Der Don hat zugesagt, uns zu helfen, aber ich bin mir nicht so ganz sicher, ob ich ihm glaube.“ Der Blick, den de La Guerra und Castillo ausgetauscht hatten, während Dev ihnen vom Telefonat mit Montez berichtete, hatte ihr nicht gefallen.
„Wir müssen uns auf sein Wort verlassen. Es gibt gar keine andere Wahl.“
„Alvarez wird morgen früh nach Cabo fliegen“, sagte sie. „Warum bereitet sich de La Guerra nicht darauf vor?“
„Ich weiß es nicht. Vielleicht finden wir das heute Abend raus.“
Das hoffte sie. Doch das Verhalten des Drogenkönigs war ihr zu lässig, zu unbekümmert angesichts eines derartig wichtigen Vorhabens.
Irgendetwas stimmte nicht.
Sie spürte es.
Wenn sie den angespannten Gesichtsausdruck von Dev betrachtete, war ihr klar, dass es ihm genauso ging.
Das Abendessen war überwältigend. Traditionelle Gerichte aus der Region Chihuahua wie
arracheras
, Streifen gepökelten Rindfleischs,
pechuga de pollo
, gegrilltes Huhn mit Chilisoße und
menoita
, ein regionaler weißer Käse, dazu Gemüse und
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