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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Pariser Warenhäuser, der sich großartig gab in seiner Eleganz und sehnlichst wünschte, seinen erleuchteten Kunstgeschmack unter Beweis zu stellen. Die Cousine ging sofort nach oben, streifte durch das Atelier, beschnüffelte dieses nackte Elend, kam mit hart verkniffenem Mund wieder herunter, verärgert, daß sie diese unnötige Fron auf sich genommen hatte. Der kleine Cousin dagegen warf sich in die Brust und ging als erster hinter dem Leichenwagen, führte den Trauerzug mit zauberhafter und stolzer Korrektheit an.
    Als sich der Leichenzug in Bewegung setzte, kam Bongrand angerannt und blieb neben Sandoz, nachdem er ihm die Hand gedrückt hatte. Er war finster, warf einen kurzen Blick auf die fünfzehn bis zwanzig Leute, die hinterhergingen, und murmelte:
    »Ach, der arme Kerl! – Was? Nur wir beide sind da?«
    Dubuche war mit seinen Kindern in Cannes. Jory und Fagerolles hielten sich fern, der eine, weil er alles, was mit dem Tod zusammenhing, nicht ausstehen konnte, der andere, weil er zu beschäftigt war. Allein Mahoudeau holte den Zug bei der Steigung in der Rue Lepic ein, und er erklärte, Gagnière müsse wohl die Bahn verpaßt haben.
    Langsam kroch der Leichenwagen den abschüssigen Weg empor, der sich in Windungen über den Abhang des MontmartreHügels zieht. Zuweilen führten Querstraßen nach unten, jähe Ausblicke zeigten die Unermeßlichkeit von Paris, das tief und breit wie ein Meer dalag. Als man vor der Kirche SaintPierre herauskam und der Sarg dort hinaufgetragen wurde, beherrschte er einen Augenblick die große Stadt. Über ihr lag ein grauer Winterhimmel, große Dunstwolken flogen dahin, fortgeweht vom eisigen Wind; und Paris schien größer geworden, schien kein Ende mehr zu nehmen in diesem Wrasen und erfüllte den Horizont mit seiner drohenden Dünung. Der arme Tote, der diese Stadt hatte erobern wollen und der sich dabei das Genick gebrochen hatte, zog an ihr vorüber, eingenagelt unter seinem eichenen Sargdeckel, und kehrte zur Erde zurück, wie eine jener Schmutzwogen, die sich durch ihre Straßen wälzten.
    Nach der Kirche verschwand die Cousine, desgleichen Mahoudeau. Der kleine Cousin hatte wieder seinen Platz hinter dem Leichenwagen eingenommen. Sieben andere unbekannte Leute entschlossen sich wegzugehen, und man brach zum neuen Friedhof von SaintOuen auf, dem das Volk den beunruhigenden und unheimlichen Namen Cayenne119 gegeben hat. Im ganzen waren sie zehn Personen.
    »Also werden wir beide doch die einzigen bleiben«, sagte Bongrand mehrmals, als er sich neben Sandoz in Bewegung setzte.
    Nun ging der Leichenzug, voran der Trauerwagen, auf dem der Priester und der Ministrant saßen, auf der anderen Seite des MontmartreHügels die gewundenen und wie Gebirgspfade abschüssigen Straßen hinunter. Die Pferde des Leichenwagens rutschten aus auf dem glitschigen Pflaster, das dumpfe Rumpeln der Räder war zu hören. Die zehn Leute dahinter kamen zwischen den Pfützen kaum von der Stelle, waren so in Anspruch genommen von diesem mühseligen Abstieg, daß sie nicht mehr redeten. Aber als man am unteren Ende der Rue du Ruisseau auf die Porte de Clignancourt stieß, wo sich inmitten dieser weiten Flächen der Ringboulevard, die Umgehungsbahn, die Wälle und die Gräben der Befestigungsanlagen dahinzogen, seufzte man erleichtert auf, wechselte ein paar Worte, und der Zug begann durcheinanderzugeraten.
    Allmählich rückten Sandoz und Bongrand an den Schluß, als wollten sie sich von diesen Leuten absondern, die sie nie zuvor gesehen hatten. In dem Augenblick, da der Leichenwagen durch das Tor fuhr, beugte sich Bongrand zu Sandoz hinüber und fragte:
    »Und was wird nun mit der kleinen Frau?«
    »Ach, das ist ein Jammer!« antwortete Sandoz. »Ich habe sie gestern im Krankenhaus besucht. Sie hat Hirnhautentzündung. Der Assistenzarzt behauptet, daß man sie retten wird, daß sie aber um zehn Jahre gealtert und ganz entkräftet herauskommen wird … Sie wissen ja, es ist mit ihr so weit gekommen, daß sie sogar die Rechtschreibung verlernt hat. So heruntergekommen, so erledigt, ein gebildetes Fräulein zur Magd herabgewürdigt! Ja, wenn wir uns ihrer nicht wie eines Krüppels annehmen, wird sie irgendwo als Geschirrspülerin enden.«
    »Und natürlich nicht ein Sou da?«
    »Nicht ein Sou. Ich dachte, ich würde die Studien finden, die er nach der Natur für sein großes Bild gemacht hatte, diese herrlichen Studien, aus denen er dann so schlecht Nutzen zu ziehen wußte. Aber ich habe vergeblich

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