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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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einer Kneipe am Montmartre oder auf dem Strich am Place Maubert?
    Der Maler, der immer verlegener wurde, fuchtelte mit den Händen herum.
    »Wie blöd seid ihr doch, mein Gott! Wenn ihr wüßtet, wie blöd ihr seid! – Nun ist’s aber genug, ihr könnt einem ja leid tun.«
    Seine Stimme klang so verändert, daß die beiden anderen sofort verstummten; und nachdem Claude den Kopf der nackten Frau wieder abgeschabt hatte, zeichnete und malte er ihn mit aufgeregter, nicht ganz sicherer Hand, die sich leicht vertat, nach Christines Kopf neu. Dann nahm er den Busen in Angriff, der auf der Studie kaum angedeutet war. Seine Erregung nahm zu, das war die Leidenschaft eines keuschen Mannes für das Fleisch des Weibes, die irre Liebe zu begehrten und niemals besessenen nackten Leibern, die Unfähigkeit, sich Befriedigung zu verschaffen, dieses Fleisch zu schaffen, das er mit seinen beiden fahrigen Armen zu umfassen träumte. Diese Dirnen, die er aus seinem Atelier scheuchte, betete er in seinen Bildern an, er liebkoste sie und vergewaltigte sie, war bis zu Tränen verzweifelt, weil er sie nicht schön genug, nicht lebensvoll genug machen konnte.
    »Noch zehn Minuten, nicht wahr?« sagte er mehrmals. »Ich will nur die Schultern für morgen festhalten, und dann gehen wir gleich nach unten.«
    Da Sandoz und Dubuche wußten, daß man ihn nicht hindern konnte, sich so totzuschuften, fanden sie sich damit ab.
    Dubuche zündete sich eine Pfeife an und streckte sich auf dem Diwan aus: er allein rauchte, die beiden anderen hatten sich niemals den Tabakgenuß angewöhnt, weil ihnen schon bei einer zu starken Zigarre immer übel zu werden drohte. Als er dann auf dem Rücken lag, sah er mit verlorenem Blick dem Rauch nach, den er ausstieß, und sprach in eintönigen Sätzen lange von sich selber. Ach, dieses verdammte Paris, wie man sich da den Balg abwetzen mußte, um zu einer Stellung zu kommen! Er erinnerte sich an seine fünfzehn Monate Lehrzeit bei seinem Chef, dem berühmten Dequersonnière, dem Träger des Großen Preises, der heute Architekt für Zivilbauten, Offizier der Ehrenlegion27 und Mitglied des Institut de France28 war, dessen Meisterwerk, die Kirche Saint Mathieu, etwas von einer Kuchenform und etwas von einer Stutzuhr im Empirestil29 an sich hatte: im Grunde ein biederer Kerl, über den er sich lustig machte, obwohl er dessen Achtung vor den alten klassischen Regeln teilte. Übrigens hätte er in ihrem Atelier in der Rue du Four, wo der Chef dreimal in der Woche rasch vorbeikam, nicht viel gelernt ohne die Kumpel; wilde Kerle, die Kumpel, die ihm am Anfang das Leben ganz schön schwer gemacht hatten, aber sie hatten ihn zumindest gelehrt, einen Rahmen zu kleben, einen Entwurf zu zeichnen und zu lavieren. Und wie oft hatte er sich zu Mittag mit einer Tasse Schokolade und einem Brötchen begnügt, um die fünfundzwanzig Francs dem Aufseher geben zu können! Und wie viele Blätter hatte er mühselig vollgepinselt, wie viele Stunden daheim über Schwarten verbracht, bevor er wagte, sich an der Ecole des BeauxArts vorzustellen! Dabei wäre er beinahe trotz seiner Anstrengungen abgewiesen worden: er war ein tüchtiger Arbeiter, aber es fehlte ihm an Phantasie; da seine Probearbeiten, eine Karyatide30 und ein Sommerspeisezimmer, sehr mittelmäßig ausfielen, wurde er in der Liste der Bewerber ganz am Ende eingereiht; allerdings hatte er im Mündlichen, mit seiner Logarithmenrechnung, seinen Konstruktionszeichnungen in Geometrie und in der Geschichtsprüfung wieder aufgeholt, denn er war sehr beschlagen im wissenschaftlichen Teil. Nun war er auf der Ecole des BeauxArts als Schüler der zweiten Klasse, er mußte sich abschinden, um sein Diplom in der ersten Klasse zu erwerben. Was für ein Hundeleben! Niemals hörte das auf!
    Er streckte die Beine sehr hoch über die Kissen hinweg, rauchte stärker und mit gleichmäßigen Zügen.
    »Kolleg über Perspektive, Kolleg über beschreibende Geometrie, Kolleg über Stereotomie, Kolleg über Konstruktionslehre, Kunstgeschichte, ach, die lassen einen aber Papier vollschmieren mit Aufzeichnungen … Und alle Monate ein Architekturwettbewerb, bald eine einfache Skizze, bald ein Entwurf. Das ist kein Spaß, wenn man das Examen bestehen und die notwendigen ehrenvollen Erwähnungen ergattern will, und besonders ist das dann kein Spaß, wenn man außer diesen Schuftereien noch Zeit finden muß, um sein Brot zu verdienen … Ich geh dabei drauf …« Ein Kissen war auf den Fußboden gerutscht;

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