Das Wiegen der Seele (German Edition)
sowie Pressekonferenzen genutzt. Die Tür stand offen und Nettgen schlugen aufgeregte Stimmen und Lärm entgegen. Die Kollegen hatten bereits an dem riesigen, kreisrunden Tisch Platz genommen, der den Raum beherrschte. Auch Löffler war schon da und verteilte gerade ein paar Schriftstücke.
Bevor Nettgen den Raum betrat, ging er noch zum Automaten auf dem Flur und zog sich einen Plastikbecher mit Kaffee. Das Zeug schmeckte so, wie Automatenkaffee üblicherweise auf der ganzen Welt schmeckte, nämlich extrem furchtbar, aber es war wenigstens heiß und es hielt ihn wach. Er warf den Plastikbecher in den Papierkorb und kramte in seiner Hosentasche nach Kleingeld. Er hatte nur noch Scheine. Doch das war in Ordnung, denn sein Magen würde es ihm danken. Stattdessen betrat er den Besprechungsraum. Bei Nettgens Erscheinen verstummten die Stimmen und alle Augen richteten sich auf ihn. Er ließ einen prüfenden Blick über die Anwesenden gleiten, ging am Tisch vorbei ans Kopfende des Raumes und postierte sich direkt neben Beamer und Flipchart .
Der Zeiger der großen Wanduhr rückte um eine weitere Minute vor, als Nettgen die Einsatzbesprechung eröffnete :
„Guten Morgen, Kollegen! Danke, dass ihr so zügig erschienen seid“, begrüßte er die Anwesenden. Seine Stimme war gelassen und umgänglich. Wäre da nicht der Unterton von befehlsgewohnter Sicherheit gewesen, der in ihr mitschwang, hätte er einfach ein Schwätzchen mit den Kollegen halten können.
„Nun, wie ihr alle wisst, ermitteln wir noch immer im Mordfall Crampton, dem Archäologen. Unsere Ermittlungen waren bislang erfolglos, was das Motiv und den oder die Täter betrifft.“ Man konnte ihm nicht anhören, dass er in seinem Inneren damit rang, die Ruhe zu bewahren, während die Unfähigkeit, eine weitere Niederlage einzustecken, einen tödlichen Ehrgeiz in ihm entfacht hatte.
„ Das hat sich jedoch heute Nacht schlagartig geändert. Wir haben erste Anhaltspunkte, wer hinter der Tat stecken könnte und – was noch wichtiger ist – wir haben Anhaltspunkte auf einen weiteren Mord, der wahrscheinlich in Kürze stattfinden wird. “
Er nickte Löffler zu und gab ihm so zu verstehen, dass er mit dem Bericht über den neusten Ermittlungsstand fortfahren sollte.
„ Danke, Ralf“, sagte Löffler. „Das ist der Mann, den wir suchen.“ Er hielte ein Phantombild hoch, auf dem ein südländisch aussehender Mann mit Schnurrbart abgebildet war. „Hasan Ab Abduram , alias Ali Abdel- Kurnah , ägyptischer Staatsbürger mit Wohnsitz hier in Essen, vorbestraft wegen unerlaubtem Waffenbesitz. Er ist siebenunddreißig Jahre alt und als gefährlich und skrupellos einzuschätzen. Wir verdächtigen ihn des Mordes oder der Beihilfe zum Mord an Jack Crampton. Ab Abduram hat eine Zeitungsanzeige aufgegeben, in der die Hieroglyphen abgebildet waren, die wir auch am Tatort gefunden haben. Und diese Anzeige hat er einige Tage vor dem Mord aufgegeben. Wir vermuten, dass diese Zeichen einen Hinweis auf Ort und Zeit des Verbrechens gegeben haben. Hinzu kommt, dass er laut Passagierliste zu den Passagieren der Boing gehörte, mit der auch Jack Crampton aus Kairo zurückgekommen ist. Wenn das mal kein Zufall ist. Das ist unser Mann ! “
„Wo finden wir Ab Abduram ? “, wollte Nettgen wissen.
„Er wohnt in der Leipziger Straße in Frohnhausen , gleich beim Friedhof. Ich habe bereits Zivilfahnder dorthin geschickt, die gemeldet haben, dass sein dunkelgrüner Pick-up vor dem Haus steht. “
Nettgen klopfte ihm auf die Schulter. Er tat es zwei-, dreimal und lächelte ihn dankend an.
„Gute Arbeit, Kommissar Löffler . “
Nachdem in Zusammenarbeit mit den Leitern der Einsatzkräfte die Lage vor Ort und der Ablauf des Zugriffs besprochen worden war, gab Nettgen das Signal zur Abfahrt.
Nettgen starrte entschlossen aus dem Beifahrerfenster des Zivilfahrzeuges. Er war angespannt und todmüde, deshalb ließ er lieber einen Kollegen fahren. Zusammen mit Löffler bildete der Wagen die Spitze einer Fahrzeugkolonne, die aus insgesamt neun Polizei- und Sondereinsatzwagen bestand, die mit über siebzig Sachen durch die Stadt rasten. Die Sirenen heulten und die blauen Rundumleuchten funkelten wie Sterne auf den Autodächern. Es herrschte ein ohrenbetäubender Lärm, der bis in die hintersten Ecken der Nebenstraßen und Gassen zu hören war. Nettgen klappte die Sonnenblende herunter, um sich im Spiegel die Augen zu reiben, setzte seine Sonnenbrille auf und meinte: „Und, Dietmar,
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