Das Wing 4 Syndrom
natürlich beide krank waren, weil Kyrone zu viel argwöhnte, um uns gemeinsam wieder hinauszulassen, wenn …“
Er seufzte bedrückt.
„Ein harter Mann, dein Vater. Aber ein stiller Mann. Und auf seine Art dem Schutztrupp und seiner Pflicht loyal ergeben. Er hat uns nie wirklich angeklagt, obwohl es genügend Dinge gab, die klar erkennen ließen, was er empfand.“
„Das muß der Grund sein“ – Keth flüsterte die Worte –, „daß er immer so streng und kalt zu mir war.“
„Du glaubst mir also?“ Brong beugte sich vor. „Du schämst dich nicht?“
„Aber …“ Keth stand unsicher auf und griff nach Brongs harter Hand. „Ich … ich danke dir, Vater!“
„Du bist mein Sohn!“ Brong ignorierte die Hand, die nach ihm griff, und sie trafen sich in einer zitternden Umarmung. „Jetzt verstehst du, warum ich es dir sagen mußte. Bevor du versuchtest, dir selbst ein Leid zuzufügen. Weil es möglich ist, daß du immun bist. Ich weiß nicht, welche Gene dominant sind, aber wenn meine Chance eins zu zwei ist, sollte die deine eins zu vier sein.“
„Wie bald werden wir das wissen?“
„Schwer zu sagen.“ Brong entfernte sich hinkend von ihm. „Ich habe Leute sterben sehen. Ich glaube nicht, daß irgend jemand die Berührung länger als einen Tag überlebt hat. Die Augen und Lungen können in ein paar Minuten zu brennen anfangen.“
„Ich fühle mich noch ganz wohl – glaube ich!“
„Zum Feiern ist es noch zu früh.“ Brongs zusammengekniffene Augen musterten ihn. „Da ist zu viel, was wir nicht wissen. Wir könnten beide nur teilweise immun sein – dann würde es nur länger dauern, bis wir sterben. Aber selbst wenn wir die Fäule nicht bekommen, gibt es andere Ansteckungsmöglichkeiten im Dschungel, auf die wir aufpassen müssen – zum Beispiel die Infektion, die mich zum Krüppel gemacht hat.“
„Was ist mit deinen Händen?“
„Die beobachte ich die ganze Zeit.“ Brong drehte sie unsicher. „Innen mögen sie aus Stahl sein, aber deine Mutter hat sie gut gemacht. Bis jetzt kann ich noch keinen Schaden sehen.“ Er seufzte. „Wir müssen warten.“
Wartend hinkten sie an dem dichten Dornbuschgestrüpp entlang zur Spitze der Sandbank hinaus. Ein armseliger Platz, um dort zu sterben. Aber gleichgültig, wie lange sie auch noch leben mochten, sie besaßen keine Werkzeuge, um sich einen Weg durch das dornige Dickicht zu schneiden oder ein weiteres Floß zu bauen. Keth sah keine Möglichkeit, die Sandbank zu verlassen. Während sein Blick müde an der endlosen gelben Dschungel wand entlangwanderte, die den Fluß bis zu nächsten Biegung und darüber hinaus begleitete, zuckte er plötzlich zusammen.
„Bosun!“ Zitternd hob er die Hand. „Vater? Ist das dort nicht der Baum?“
Weit entfernt und von blassem Dunst umgeben, ragte ein stumpfer Bergkegel über den Dschungel hinaus. Am steilen Nordhang wölbte sich ein kleines Plateau vor. Brong hielt sich die Hand über die Augen, um besser sehen zu können. Und dann packten seine harten goldenen Finger Keths Arm.
„Schutzmann, das ist der Baum!“
„Kannst du … kannst du uns zu ihm springen?“
„Das kann ich nicht.“ Langsam lockerte sich die Metallhand, und Brong schüttelte den Kopf. „Ich habe kein Feyolin mehr. Ich habe das letzte Körnchen verloren, als ich an Land schwamm. Aber wenn ich nicht …“ Sein Griff wurde fester. „Keth, wenn du dich an das erinnerst, was du bei dem Sprung von Kai gelernt hast, dann glaube ich, daß wir es können.“
„Ich kann mich nicht an viel erinnern …“
„Der Baum steht auf einem flachen Plateau.“ Brongs bützende Hand deutete darauf. „Ein dicker grüner Stamm mit helleren Ästen und grell-roten Zweigen. Wir lassen uns an den Rand des Plateaus fallen, nördlich davon. Ich zähle jetzt. Drei, zwei eins …“
Keth erinnerte sich an nichts, was ihm nützte, und das war schierer Wahnsinn. Zwei zerlumpte Schiffbrüchige, Ausgestoßene der Gesellschaft, nur mit schmutziger Unterwäsche bekleidet und von der Katastrophe über den Rand der Vernunft getrieben. Das war schiere Illusion, Verblendung.
„Jetzt!“
Nichts geschah, aber die harte Hand zerrte immer noch an ihm.
„Spring!“
Er ließ sich gehen, weg von dem Sand unter seinen Füßen und dem Biß des Windes und dem Zischen des Stromes. Die Augen auf den fernen Bergrand gerichtet, gab er sich ganz Brongs Hand hin. Alles verschwamm, und der gelbe Himmel flackerte. In seinen Ohren knackte der Luftdruck. Einen
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