Das Wing 4 Syndrom
Sie haben beschlossen, Sie nicht festzuhalten, aber ich könnte mir vorstellen, daß man Sie unter Beobachtung halten wird.“
Als Keth in sein Zimmer zurückkehrte, stand der gehämmerte Kelch wieder auf seinem Schreibtisch. Es war schon nach Mitternacht. Er fiel müde auf sein Bett und träumte von Nera Nyin. Sie hatte sich in den Eiswüsten von Darkside verirrt, nackt und zitternd, an der Blutfäule erkrankt. Er suchte sie und trug das Mittel, sie zu heilen, in dem goldenen Kelch, aber er konnte sie nicht finden.
Am nächsten Tag hörte er müde und abgestumpft seine Tutoren kaum. Eine völlig unlogische Hoffnung trieb ihn früh in die Vorlesung über Kai-Literatur, aber Nera Nyin war natürlich nicht da. Als er abends ohne Appetit in der Messe saß, hörte er ein Gerücht, daß man sie wegen Drogenbesitzes verhaftet und nach Mahli zurückdeportiert habe.
Er zweifelte daran und sehnte sich nach Nachrichten, die nie kamen. Eine Tonkarte von Cyra und seinem Vater berichtete, daß ihre Gesundheit unverändert sei und ihre Arbeit Fortschritte machte.
Sein letztes Jahr schleppte sich hin. Wieder bewarb er sich um Weltraumausbildung, und wieder waren alle Kurse schon von Flottenleuten überfüllt. Die Semestermitte kam und ging. Und dann rief Chelni Vorn völlig unerwartet vom Terradeck aus an.
Sie war nach Hause gekommen, um ihn zu heiraten.
13
Dämmertag Der Tag nach Sonnenuntergang, traditionsgemäß durch das Ende der Erntefeiern und den Rückzug in die unterirdischen Bereiche markiert.
Er holte sie am Tor ab. Sie war größer, als er sie in Erinnerung hatte, und von den UV-Schirmen gebräunt. In dem hellblauen Jumpsuit, den sie in der Raumfähre getragen hatte, wirkte sie schlank, beinahe athletisch.
„Lieber Keth!“ Sie küßte ihn und schob ihn dann von sich, um ihn zu inspizieren. „Prima siehst du aus.“
Ihre etwas heiser klingende Stimme ließ die Bewegung verspüren, die sie empfand, und ihre blaugrauen Augen füllten sich mit Tränen. Er fand, daß sie fast so hübsch wie Nera Nyin war und fühlte eine Aufwallung der alten Zuneigung, die er ihr gegenüber stets empfunden hatte.
Sie wollte eine Melonade, und so gingen sie gemeinsam in die Snack-Bar. Sie redete von ihrer Zeit auf Malili. Die Zone war ein eiskaltes kleines Gefängnis, wo das Leben eingeschränkt und hart, manchmal gefährlich war. Am Anfang hatte sie die Zone erbittert gehaßt, bis sie ein besseres Gefühl für das bekam, was sie bedeutete.
„Eine Saat!“ Ihre Augen glänzten. „Ich wünschte, du könntest dem Admiral zuhören, wenn er davon spricht, wie sie wachsen wird. In einem Baum des Lebens für Kai soll sie reiche neue Ernte für die Vorns tragen. Ein wunderbarer Traum, Keth, und wir können für uns etwas Wunderbares daraus machen.“
Ihr Onkel war jetzt Kommandeur der Zone. Sie hatte eine Zeitlang in seinem Büro gewohnt und war dann in einem Dutzend verschiedener Positionen im Raumdeck ausgebildet worden, in den Import- und Exportfilialen, in der Thorium-Abteilung, in der Forschung und im allgemeinen Management. Sie hatte den Einsatz von Raumfähren überwacht, Erzzüge in den Bergwerken gesteuert und einen Saniwagen gefahren, um die neuen Befestigungsanlagen zu inspizieren.
„Aber ich brauche dich, Keth.“ Plötzlich beugte sie sich über den winzigen Tisch. „Komm mit mir.“
Aus der Fassung gebracht, suchte er nach Worten und erinnerte sie daran, daß er noch ein halbes Jahr an der Akademie abzuleisten hatte.
„Das hat nichts zu sagen.“ Ihr Lächeln war voll Hoffnung. „Du wirst erkennen, daß die Zone eine viel bessere Schule als Kratersee ist.“
Sie hatte ihre Melonade ausgetrunken und wollte jetzt den See sehen, und so führte er sie hinaus über das Deck. Es war Mitte Mondzeit in der langen Sommersaison, in der die Polsonne nie unterging. Orangerot und in leuchtenden Dunst gehüllt, stand die Sonne tief im Norden und wirkte unter Malilis schmalem Halbmond winzig. Ihr Licht lag wie Blut auf dem hellblauen Wasser und machte aus einer langen Staubsäule, die aus einer Erdhöhle unter dem Damm aufstieg, gelbes Feuer.
„Ein herrlicher Blick.“ Sie beugte sich über die Reling, um die Szene in sich aufzunehmen, ehe sie sich wieder ihm zuwandte. „Ich werde Kai immer lieben – hart und kahl, wie diese Welt ist –, aber wir werden keine Steine schleifen müssen, um Erdreich für Malili zu erzeugen.“
Um das hinauszuschieben, was er wußte und ihr würde sagen müssen, wandte er ein, daß
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