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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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sich, wie sie einmal zu hören gemeint hatte, daß er »Liebes« zu ihr gesagt hatte.
    »Zwischen euch ist doch nichts Unschickliches, Helen?«
    Sie schüttelte heftig den Kopf. »Nein, Daddy. Natürlich nicht.«
    Sie wußte, daß sie rot geworden war, und als sie nach ihrem Glas griff, zitterte ihre Hand, und Wasser ergoß sich auf die polierte Tischplatte.
    »Du wirst Hayhoe schreiben, daß wir einige Arbeiten für ihn haben.« Pastor Ferguson aß den letzten Löffel Pudding und schob das Dessertschälchen weg.
    Nachdem er das Gebet gesprochen hatte und aufgestanden war, folgte Helen ihm in sein Arbeitszimmer. Dort diktierte er ihr, und während sie schrieb, erwachte allmählich ein schrecklicher Zorn in ihr. »Vergiß nie, daß du eine Klasse höher stehst als Adam Hayhoe«, hatte ihr Vater gesagt, aber sie fragte sich jetzt, ob er recht hatte. Sie jedenfalls konnte nicht erkennen, daß sie Adam in irgendeiner Hinsicht überlegen war. Adam war für sein Heimatland in den Krieg gezogen, er hatte bis zu ihrem Tod für seine verwitwete Mutter gesorgt, und er hatte zahllose schöne und nützliche Dinge gefertigt. Helen holte zitternd Atem. Sie hingegen hatte nichts mit ihrem Leben angefangen. Die Zukunft machte ihr angst, und sie sah plötzlich mit schrecklicher Klarheit, wie ihr Vater jeden ihrer kleinen Ausbrüche in die Freiheit vereitelt hatte und wie sie durch ihre eigene Schwäche zu ihrer Gefangenschaft beigesteuert hatte. Ihre Mutter war dieser erstickenden Liebe nur durch den Tod entkommen.
    Aber sie liebte Adam Hayhoe nicht. Adam war älter als sie, sein Gesicht hatte nichts Bemerkenswertes, er sah überhaupt nicht aus wie die Helden, deren Bilder auf den Einbänden der Romane prangten, die sie sich aus der Bibliothek auszuleihen pflegte. Aber er war ihr ältester Freund. Als ihr Vater ihr befahl, ihren Namen unter den Brief zu setzen, hätte Helen am liebsten den Federhalter zerbrochen oder wäre aus dem Zimmer gerannt. Aber sie tat keines von beiden. Die flüchtigen Blicke in die Freiheit hatten nicht vermocht, ihren gewohnten Gehorsam zu brechen. Mit zusammengebissenen Zähnen schrieb sie ihren Namen.
    Ein Mangel an Aufträgen hatte Adam Hayhoe dazu getrieben, sich als Treiber bei den Freres zu verdingen. Die Arbeit war abscheulich und erniedrigend. Wenn er im strömenden Regen im Wald stand, der zu Brackonbury gehörte, die Fasane aus ihren Verstecken trieb und zusah, wie sie zum Himmel hinaufstiegen, wünschte er, sie würden davonkommen, die Gewehrkugeln würden sie nicht treffen.
    Er hatte Arbeit für eine Woche. Das hieß, eine Woche lang vor Morgengrauen aufstehen, die Kleider überziehen, die nicht vom Regen des Vortags durchnäßt waren, und zehn Kilometer bis Brackonbury House radeln. Danach acht Stunden unter tropfenden Bäumen stehen, bis über die Stiefelränder im Morast, naß bis auf die Haut. Die Jagdgesellschaft Lord Freres speiste in Zelten, die die Dienstboten aufgestellt hatten; Adam und die anderen Treiber aßen ihr Mittagbrot unter Büsche gekauert oder an Baumstämme gelehnt.
    Aber es war nicht das Wetter, das ihm am meisten zu schaffen machte. Er hatte Schlimmeres erlebt; in Flandern (und bei dem Vergleich mußte er ein wenig lächeln) hatte er im Schlamm gegessen, geschlafen und gearbeitet. Und dort hatten sie auf ihn geschossen und nicht auf Fasane. »Dein Land braucht Dich«, hatte damals auf den Plakaten gestanden, und er hatte, da er sein Heimatland liebte, sich gemeldet und seine Pflicht getan. Jetzt aber brauchte sein Land ihn nicht. Die Jahre der wirtschaftlichen Krise, die East Anglia, ganz von der Landwirtschaft abhängig, so hart getroffen hatten, hatten ihm sein Handwerk geraubt. Menschen, die es sich kaum leisten konnten, zu essen und sich zu kleiden, kauften keine neuen Möbel. Alles in Adam wehrte sich dagegen, irgendwo in Stellung zu gehen oder sich für einen Hungerlohn als Landarbeiter zu verdingen. Also mußte er sich mit diesem hier zufriedengeben.
    Er sah, daß die Treiber schlechter behandelt wurden als die Hunde. Die Hunde bekamen Futter und Wasser und ein Lob, wenn sie ihre Sache gut gemacht hatten; Adam und die anderen Treiber wurden angeschnauzt, beschimpft, von oben herab behandelt. Die meisten Treiber waren junge Burschen, einige wenige waren alte Männer. Einer der Jungen rutschte im Schlamm aus und scheuchte die Vögel aus ihren Verstecken, ehe die Gesellschaft zum Schuß bereit war. Lord Frere brüllte wütend: »Machen Sie, daß Sie da wegkommen, Sie

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