Das Winterhaus
der Zorn, den sie die ganze Woche unterdrückt und der nun ein Ventil gefunden hatte, brodelnd an die Oberfläche. Die Tür von Joes Haus war offen wie immer. Sie rannte die drei Treppen hinauf und trommelte an seine Wohnungstür.
Er machte ihr auf, mit bloßem Oberkörper, im Gesicht noch Rasierschaum.
»Joe!« Sie fiel beinahe ins Zimmer. »Joe – ich muß mit dir reden.«
»Gut. Ich wollte dir auch etwas sagen.«
»Aber nicht hier.« Sie hatte seine Wohnung nie gemocht, immer noch so provisorisch, als wollte er jederzeit zum Aufbruch bereit sein. »Im Park vielleicht.«
»Darf ich mir was anziehen?«
»Natürlich.« Sie bemühte sich zu lächeln. »Entschuldige.« Innerhalb von fünf Minuten war er fertig, und sie gingen in den kleinen Park über der Straße. Robin zog ihren Brief aus der Tasche.
»Es geht um Hugh, Joe. Er und Maia haben sich verlobt.«
Sie sah ihn an, in der Erwartung, in seinem Gesicht den Schock und den Zorn gespiegelt zu sehen, die sie empfand. »Ich weiß nicht, was ich tun soll – ich könnte heute abend den Zug nehmen – ich würde von Scham nach Blackmere zu Fuß gehen müssen, aber es ist nicht allzu weit … Oh, ich wünschte, sie hätten Telefon.«
»Was willst du denn tun ?« fragte Joe. »Ich würde denken, daß ein Glückwunschbrief völlig ausreichend ist.«
Sie hielt ihm Daisys Brief hin. »Joe – das darf nicht passieren. Hugh darf Maia nicht heiraten. Es ist ganz ausgeschlossen.«
Er überflog schnell Daisys Schreiben. Sie standen am Rand eines kleinen runden Teichs, braune und rote Blätter, die von den umstehenden Buchen herabgefallen waren, trieben auf dem Wasser. »Robin«, sagte Joe begütigend, »ich weiß, daß du Hugh sehr gern hast und dich an den Gedanken gewöhnt hast, daß er Junggeselle bleiben wird, aber du mußt nun mal akzeptieren, daß er und Maia verlobt sind und heiraten werden.«
»Aber sie hat ihren Mann getötet!« schrie sie beinahe. Eine Frau und ein kleiner Junge auf der anderen Seite des Teichs hoben die Köpfe.
»Robin – um Gottes willen –« Sie sah das Erschrecken in seinen dunklen Augen.
»Ich weiß es, Joe. Oh – sie hat es nie zugegeben, und bei der amtlichen Untersuchung wurde festgestellt, daß Vernon durch einen Unfall ums Leben gekommen ist, aber ich weiß es.«
Er entgegnete: »Wenn sie es nie zugegeben hat – und du warst ja nicht einmal hier, Robin, du warst damals in Frankreich –, woher willst du es dann wissen?«
»Ich kenne Maia. Ich weiß, daß sie fähig ist, einen Meineid zu schwören. Und ich weiß auch, daß Vernon ein Schwein war, ein brutaler Mensch, der sie geschlagen und gedemütigt hat … So was würde sich Maia nie gefallen lassen. Niemals, Joe.«
»Viele Frauen nehmen es hin – sie haben kaum eine Wahl.«
Sie schüttelte den Köpf. »Aber nicht Maia.« Sie begann wieder zu gehen und wirbelte mit ihren Schuhspitzen die welken Blätter auf. »Sie darf Hugh nicht heiraten. Ich muß es verhindern, Joe.«
»Du kannst doch da nicht einfach mit erhobenen Fäusten reinplatzen –«
»Ich muß aber.« Sie hatte erkannt, daß sie zum erstenmal in ihrem Leben zwischen ihrer Familie und ihren Freunden wählen mußte. Es war eine schreckliche Wahl. Sie mußte das Maia gegebene Versprechen brechen, sonst würde Hugh eine Frau heiraten, die fähig war, ihn zu vernichten. Sie holte tief Atem. »Ich muß Hugh das mit Vernon sagen.«
Joe nahm sie bei den Schultern und drehte sie zu sich herum. »Und du meinst, er wird dir glauben? Du meinst, er wird dir auch nur zuhören? Mein Gott, Robin – hast du denn nicht begriffen, daß Hugh Maia schon seit Jahren liebt?«
Einen Moment lang starrte sie ihn wortlos an, dann sagte sie mit schwankender Stimme: »Ich glaube, ich habe noch nie einen Mann gekannt, der nicht in Maia verliebt war. Du bist wohl auch in sie verliebt, Joe?«
»Nein«, widersprach er ärgerlich und suchte in seinen Taschen nach seinen Zigaretten. Robin schüttelte den Kopf, als er ihr die Packung hinhielt.
»Wenn du jetzt nach Hause läufst und Hugh erklärst, daß die Frau, die er bis zum Wahnsinn liebt, eine Mörderin ist, dann wird er dich ablehnen, nicht Maia.«
Sie wußte, daß er recht hatte. Die Menschen glaubten von denen, die sie liebten, was sie gern glauben wollten. »Dann spreche ich eben mit Maia.«
»Und weiter? Hast du dir das überlegt, Robin? Nimm an, du kannst Maia überzeugen, die Verlobung zu lösen. Glaubst du, Hugh wird es dir danken?«
»Ich kann doch nicht nichts
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