Das Winterhaus
schwaches, inkompetentes, ewig nörgelndes Frauenzimmer.
Sie erschien nun jeden Morgen schon um halb acht in der Firma und ging meistens nicht vor zehn Uhr abends. Ein stillschweigender Wettkampf zwischen ihr und Liam Kavanagh, der ebenfalls meist sehr lange arbeitete, hatte begonnen. Doch bei ihr, die mit einem Wust von kleinen Problemen und realen Zukunftssorgen kämpfte, war die lange Arbeitszeit Notwendigkeit. Wenn Maia schlief, träumte sie von Auftragsbüchern und Kreditwürdigkeit; wenn sie allein ihr Abendessen einnahm, hatte sie stets einen Notizblock zur Hand, um Fragen und Gedanken, die ihr durch den Kopf gingen, sofort aufzuschreiben. Es war gar nicht schlecht, sagte sie sich, daß Liam Kavanagh sie gezwungen hatte, sich mit jeder lächerlichen kleinen Schwierigkeit auseinanderzusetzen, die in einem großen Unternehmen wie der Firma Merchant auftauchte. Sie mußte das Geschäft bis in seine letzten Verästelungen kennenlernen. Es gab noch so vieles, was sie nicht wußte.
Sie sah klar die Gefahren: daß sie in diesem Sumpf von Bagatellen das Wesentliche aus den Augen verlieren und der Rückgang der Gewinne, den die Halbjahreszahlen spiegelten, sich beschleunigen würde; daß sie einen gravierenden Fehler machen würde und die anderen, die Männer, sich ins Fäustchen lachen und »Ich hab's ja gewußt« sagen würden. Wenn sie merkte, daß sie sie beobachteten, daß sie nur auf einen Fehler von ihr warteten, arbeitete sie noch härter, um alle Informationen, die sie im Lauf der ersten Monate ihrer Arbeit in der Firma gesammelt hatte, in ihrem ausgezeichneten Gedächtnis zu speichern. Sie war todmüde, sie hatte abgenommen, sie hatte wochenlang keine Freunde gesehen, aber sie begann allmählich, dieses Geschäft zu begreifen. Sie entwickelte einen Plan, einen regelrechten Schlachtplan.
Bei Miss Dawkins begann sie mit ihrer Kampagne. Sie wußte, wenn es ihr gelang, Miss Dawkins auf ihre Seite zu ziehen, hätte sie schon viel gewonnen. Miss Dawkins' anbetende Bewunderung für Liam Kavanagh – die dieser natürlich sehr diskret förderte – und ihre altmodischen Vorstellungen weiblicher Minderwertigkeit machten Maias Aufgabe doppelt schwierig. Fast alle mehr oder weniger wichtigen Schriftstücke in der Firma gingen irgendwann durch Miss Dawkins' fähige knochige Hände. Liam Kavanaghs Strategie, Maia in Bagatellkram zu ertränken, hätte ohne Miss Dawkins' Mitwirkung nicht gelingen können.
Maia lud also Miss Dawkins an einem Sonntagnachmittag zum Tee ein. »Nichts Aufwendiges«, sagte sie, um eventuellen puritanischen Protesten bezüglich des Sabbats zuvorzukommen. Maia kleidete sich, wie zur Arbeit, in Schwarz und ließ im Salon decken. Die große Fotografie, die sie und Vernon an ihrem Hochzeitstag zeigte und seit einem Jahr in einer Schublade gelegen hatte, staubte sie ab und stellte sie unübersehbar auf den Kaminsims.
»Alles, was ich in der Firma tue, tue ich für Vernon«, erklärte sie, mit den Tränen kämpfend, als sie Miss Dawkins ihren Tee reichte. »Es ist ein harter Kampf für eine Frau allein, aber er hätte gewünscht, daß ich seinen Namen lebendig erhalte. Es hätte ihm soviel bedeutet. Ganz gleich, wie schwer es mir manchmal fällt, wie sehr es mir manchmal zuwider ist. Ich weiß, daß ich um Vernons willen weitermachen muß.« Aus tränenverhangenen Augen blickte Maia die andere Frau an. »Das verstehen Sie doch, nicht wahr, Miss Dawkins?« Am Montagmorgen war das Chaos auf Maias Schreibtisch gebändigt, der riesige Berg von Papieren säuberlich nach Dringlichkeit und Sachgebiet in kleine Häufchen aufgeteilt.
Es blieben die Männer. Den Chefeinkäufer konnte sie, wie sie schnell entdeckte, um den Finger wickeln, wenn sie seiner Eitelkeit schmeichelte und ab und zu, wenn es ihr in den Kram paßte, das hilflose Weibchen spielte, sosehr sie das anwiderte. Ihr Hauptbuchhalter, Mr. Underwood, machte sie wütend mit seiner Phantasielosigkeit und seinem sturen Festhalten an alter Tradition. Vernon, dachte sie, hatte ihn wahrscheinlich einzig seiner Pingeligkeit und seiner Gründlichkeit wegen behalten. Doch Gründlichkeit reichte jetzt nicht mehr: Maia, die täglich den Wirtschaftsteil der Zeitung las und sich mit anderen Einzelhändlern unterhielt, begann um die Zukunft der Firma zu fürchten. Nach einer langen Nacht gründlicher Prüfung aller Zahlen begannen ihre alten Ängste sich wieder zu melden: daß sie alles verlieren würde; daß ihr das ganze Vermögen unter den Fingern
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