Das Wispern der Schatten - Roman
die Nase zu rümpfen und das Gesicht abzuwenden.
» Ja«, sagte ein hochgewachsener Mann mit zottigem schwarzem Bart, der auf der anderen Seite neben ihm stand. » Und jetzt, da unser Schamane aus den Bergen zurück ist, werden die Angreifer sich bald ins Hemd machen und hilflos sein, du wirst schon sehen. Psst, da ist der Dorfvorsteher, der mit ihnen sprechen will. Zeitverschwendung, schätze ich. Die Eroberer lassen keine Argumente gelten, wenn sie ihnen nicht dazu dienen, sich zu nehmen, was sie wollen, und töten alle, die auch nur versuchen, sich ihnen zu widersetzen. Mit ihnen kann man genauso wenig verhandeln, wie alle den Winter überleben können.« Er spuckte aus. » Harte Verhandlungen, harter Winter, das wissen doch alle.« Er umklammerte seinen Stab fester.
» Ich habe gehört, dass sie die Leute in Malmsby am Leben gelassen haben, aber sie lassen sie den Ort jetzt zu einer Art Festung ausbauen«, sagte der junge Mann.
Der Schwarzbart schnaubte verächtlich. » Ja, sie lassen einen so lange am Leben, wie sie Arbeit zu erledigen haben. Aber sie nehmen einem die Freiheit, durchs Land zu streifen, und das ist in meinen Augen so schlimm, wie einem das Leben zu nehmen.«
Der junge Mann wirkte nicht unbedingt, als ob er dem zustimmte, war aber zu klug, etwas Entsprechendes zu sagen. Stattdessen fragte er: » Kannst du hören, was sie reden?«
» Das könnte ich wohl, wenn ihr ungeduldigen Jungen einmal länger als für einen Augenblick den Mund halten würdet!«
Ein hünenhafter, weißhaariger Ältester in goldverzierter Lederrüstung, den Jillan für den Dorfvorsteher hielt, war aus den Reihen der Dorfbewohner herausgetreten, um auf die Heldenschar zuzugehen. Er war breitschultrig und hatte ein vorspringendes Kinn. Trotz seines vorgerückten Alters war sein Körper noch nicht fett oder gebrechlich geworden– er war eindeutig immer noch ein kraftvoller Mann. An seiner Seite schritt ein kleiner Mann in Tierfellen geschmeidig einher, fuchtelte mit den Händen in der Luft herum und sprach so, als ob er mit sich selbst redete. Jillans Nackenhaare stellten sich auf und verrieten ihm, dass Magie in der Luft lag und dies der Dorfschamane war.
Aus den Reihen der Helden trat eine unnatürlich riesenhafte Gestalt hervor. Jillan konnte sogar aus dieser Entfernung die Augen des Mannes sehen, denn sie waren eine Mischung aus Rot und Purpur und schienen wie durch ein inneres Licht zu leuchten. Jillan schnappte nach Luft. War dies ein gesegneter Heiliger des Reichs oder gar ein Erlöser? Die hohen Wangenknochen des Mannes, seine adlergleichen Züge und seine sanfte Stirn wirkten jedenfalls edel genug und passten zu einigen der Beschreibungen, die er im heiligen Buch der Erlöser gelesen hatte.
Jillan wurden die Beine schwach, und er war nahe daran, vor Ehrfurcht auf die Knie zu fallen, als der junge Mann ihn unter der Achsel packte. » Schon gut, mein Junge«, flüsterte er. » Ist ja keine Schande, blass zu werden und vor Furcht zu zittern, wenn man sich dem Feind gegenübersieht. Es ist ganz natürlich, und daraus erwachsen dann bald Zorn und Empörung. Deine Brüder sind bei dir und werden dich stützen.«
Jillan nickte und schluckte. » D…danke.«
» Für euch gibt es hier bis auf Schlamm und ein kümmerliches Dasein nichts zu holen«, sagte der Dorfvorsteher grollend zum Abgesandten des Reichs.
Zur Antwort ertönte die Stimme des Abgesandten voll Inbrunst und machtvoller Rechtschaffenheit und drang mühelos zu jedem auf dem Feld: » Komm schon, Sklave, das sind nichts als Bausteine wahrer Größe. Willst du das Volk etwa mit deinem selbstsüchtigen Begehren, das Land zu besitzen, aufhalten, obwohl das Land doch niemandem gehört?«
Der Schamane lachte leise und wippte mit dem Kopf wie ein Vogel. » Hübsche Worte, hübscher Herr. Auch wir bestehen aus Schlamm, denn kehren wir nicht alle in den Schlamm zurück, wenn das Land bereit ist, uns wieder aufzunehmen? Warum, hübscher Herr, versuchst du also, uns Befehle zu erteilen und Besitz von uns zu ergreifen, während du uns das Gleiche vorwirfst? Wir können genauso wenig vor dir auf die Knie fallen wie das Land selbst.«
Von dort, wo die Helden standen, begann ein rötlicher Nebel über das Feld zu treiben. Er schien allerdings keine Wirkung auf die Helden zu haben, denn es wurde kein Alarm geschlagen. Der Gesandte trug unterdessen ein gelangweiltes Gähnen zur Schau. » Es ist doch stets dasselbe mit euch Heiden– immer diese verworrenen Rätsel, die
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