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Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)

Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)

Titel: Das Zeichen der Schwalbe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Bryan
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es könne Don Miguel gewesen sein, doch die Oberin sagte: »Don Héctor Santiago. Er ist sechzig Jahre alt und war noch nie verheiratet, sodass Ihr Euch nicht um Stiefkinder kümmern müsstet. Er ist ein entfernter Cousin der Beltráns. Er nimmt es mit der Wahl seiner Ehefrau sehr genau: Solange sie Spanierin ist, kann er sich damit abfinden, wenn sie keine Mitgift hat, vorausgesetzt, sie sieht nicht allzu hübsch aus, ist fromm, bescheiden, unterwürfig, still, hat keinen Bedarf an feinen Kleidern und ist in der Lage, Kinder zu bekommen. Vorzugsweise ein einfaches Mädchen, das allenfalls sein Gebetbuch lesen kann.«
    Ich versuchte, dem Namen einen der hochnäsigen Landbesitzer zuzuordnen, die uns bei den Beltráns begutachtet hatten. Als mir einfiel, wer es war, wurde mir das Herz schwer. »Oh. Ich erinnere mich an ihn, Mutter Oberin – ein kleiner Mann mit verkniffener Miene und spitzer Nase, der Ähnlichkeit mit einem Zwerghuhn hat. Er ist eingebildet und stinkt aus dem Mund, weil seine Zähne verfault sind.«
    »Er ist sehr reich – die Familie besitzt viele Silberminen«, sagte die Oberin streng. Diese Nachricht machte ihn sogar noch weniger sympathisch. Ich wusste von Don Miguel, wie die Einheimischen in den Minen als Sklaven zu Tode geschunden werden.
    »Sein Großvater war einer von Pizarros Generälen. Natürlich wird die Familie mehr über Euren Hintergrund wissen wollen, bevor sie ein förmliches Angebot macht, doch ich gehe davon aus, dass es da keinerlei Hindernisse gibt?«
    Das wird ja immer schlimmer, dachte ich.
    Bisher hatte ich der Oberin so wenig wie möglich über meine Familie erzählt, sie wusste nur, dass meine Mutter bei meiner Geburt gestorben war und dass mein Vater ein Gelehrter war. Nun jedoch gab ich ihr zu verstehen, dass ich Don Héctors Vorstellungen kaum weniger entsprechen könne, da ich zu Hause eine sehr umfassende Schulbildung genossen hatte.
    Die Oberin machte eine wegwerfende Handbewegung, so als wollte sie sagen: »Das spielt doch keine Rolle.« Sie ist sehr darauf bedacht, unsere Zukunft zu regeln, und ich bin mir sicher, dass sie Don H é ctor diese Information im bestmöglichen Licht präsentieren wird. Sie meinte, ich solle sein Angebot eingehend überdenken. Der bloße Gedanke lässt mich schaudern, andererseits gäbe eine Ehe mir die Möglichkeit, ein anderes Versprechen einzuhalten – Sanchia ein Zuhause zu geben, bevor sie in ernsthafte Schwierigkeiten gerät.
    Sanchia wird immer ruheloser und tut Dinge, die mich sehr beunruhigen. Von Zeit zu Zeit schlüpft sie aus dem Kloster, um sich umherreisenden Schauspielern, Musikern und Tänzern anzuschließen, die auf Podesten auf den Plätzen der Stadt und in dem neuen Theater auftreten. Was Sanchia tut, ist gefährlich. Es sind zu viele Männer, zu viele Abenteurer und Trunkenbolde in den Straßen unterwegs, die denken, dass sie jede Frau und jedes Mädchen haben könnten, wann immer ihnen der Sinn danach steht. Vor allem mit den Tanzmädchen hat Sanchia sich angefreundet. Sie beteuert, dass die Aufführungen einen religiösen Hintergrund haben, es seien Moralitäten, die die Einheimischen belehren und zum Christentum bekehren sollen. Dennoch ziehen diese Auftritte allerlei zügelloses Volk an.
    Außerdem spricht Sanchia neuerdings viel von ihrer Familie; es sind schmerzliche Erinnerungen, die sie oft genug zum Weinen bringen, doch sie sagt, da sie nun allmählich erwachsen wird, sei es ihre Pflicht, sich an sie zu erinnern, so schrecklich es auch sein mag. »Sonst sterben sie noch einmal, Esperanza. Ich weiß, dass sie eines furchtbaren Todes gestorben sind, weil sie Juden waren. Ich will auch Jüdin sein.« Ich ermahnte sie, leise zu sprechen, und erinnerte sie daran, dass wir bei allem, was wir sagen, vorsichtig sein müssen.
    »Ach, Esperanza, du mit deinen tugendhaften Belehrungen! Du hast doch selbst deine Geheimnisse. Jeder, der ein Geheimnis hat, erkennt, wenn ein anderer etwas zu verbergen hat«, gab Sanchia zurück.
    Da hatte sie wohl recht.
    Zusätzlich zu ihren neu erworbenen schauspielerischen Fähigkeiten hat Sanchia erstaunlicherweise eine wissbegierige Ader in sich entdeckt. Und eine gefährliche obendrein! Bei einem ihrer unerlaubten Streifzüge hat sie ein gedrucktes Altes Testament auf Spanisch erstanden, bei einem Buchverkäufer, einem Mestizen, von dem man sagt, dass er mit verbotener Ware handelt. Es ist ein sehr schönes Buch. Sanchia hat dafür ihre halbe Mitgift ausgegeben – ohne mein Wissen –

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