Das Zeichen der Vier
letzten Moment beiziehen. Er ist kein übler Kerl, und ich möchte nichts tun, was ihm beruflich schaden könnte. Aber nun, da die Sache bereits so weit gediehen ist, ziehe ich es vor, den Fall allein zu lösen.«
»Könnten wir nicht eine Annonce aufgeben, in der wir die Besitzer von Anlegeplätzen um sachdienliche Hinweise bitten?«
»Das wird ja immer schlimmer! Dann wüßten unsere Männer doch, daß man dicht hinter ihnen her ist, und würden das Land so schnell als möglich verlassen. Es spricht ohnehin viel dafür, daß sie versuchen werden, außer Landes zu kommen; aber solange sie sich in Sicherheit wiegen, werden sie die Sache nicht überstürzen. In dieser Hinsicht wird Jones’ Tatendrang uns von Nutzen sein, denn sicherlich wird er seine Auffassung des Falles in der Tagespresse breitschlagen lassen und so die Flüchtlinge zu der Annahme verleiten, daß alle Welt einer falschen Fährte nachjagt.«
»Na gut, was tun wir dann?« fragte ich, als wir in der Nähe der Besserungsanstalt von Millbank an Land gingen.
»Diese Droschke da nehmen, nach Hause fahren, frühstücken und uns eine Stunde hinlegen. Es ist gut möglich, daß wir noch eine weitere Nacht auf den Beinen sein müssen. Fahrer, halten Sie dann vor einem Telegraphenamt! Toby wollen wir noch bei uns behalten; er könnte uns nochmals von Nutzen sein.«
Wir hielten vor dem Postamt in der Great Peter Street, und Holmes gab sein Kabel auf.
»Was denken Sie wohl, an wen das Telegramm gerichtet war?« fragte er, als wir weiterfuhren.
»Ich habe wirklich nicht die geringste Ahnung.«
»Erinnern Sie sich an die Baker-Street-Spezialeinheit der Kriminalpolizei, die ich im Fall Jefferson Hope eingesetzt habe?«
»Nun ja, und?« versetzte ich lachend.
»Das hier ist genau so ein Fall, in dem sich ihre Hilfe als unschätzbar erweisen dürfte. Sollten sie keinen Erfolg haben, bleiben mir immer noch andere Mittel; aber zuerst will ich es mit ihnen versuchen. Das Telegramm ging an Wiggins, meinen kleinen Schmuddel-Leutnant, und ich nehme an, er wird sich mit seiner Bande bei uns einfinden, noch ehe wir unser Frühstück beendet haben.«
Es war mittlerweile zwischen acht und neun Uhr, und die Nachwirkungen der Aufregungen, die in dieser Nacht so dicht aufeinander gefolgt waren, begannen sich bei mir heftig bemerkbar zu machen. Ich fühlte mich schlapp und ausgelaugt, mein Geist war benebelt, mein Körper erschöpft. Der berufliche Ehrgeiz, der meinen Gefährten vorwärtstrieb, ging mir ab, und ebensowenig wollte es mir gelingen, die ganze Sache als eine rein abstrakte Denkaufgabe zu betrachten. Was den Tod Bartholomew Sholtos betraf, so hatte ich so wenig Gutes von ihm gehört, daß ich seinen Mördern gegenüber keinen besonders heftigen Abscheu empfinden konnte. Die Sache mit dem Schatz jedoch stand auf einem anderen Blatt, denn der, oder zumindest ein Teil davon, gehörte rechtens Miss Morstan, und solange auch nur die geringste Aussicht bestand, ihn zurückzugewinnen, war ich bereit, mein Leben diesem einen Ziel zu widmen. Gewiß, sollte ich den Schatz finden, würde sie mir wohl auf immer unerreichbar sein. Aber was wäre das für eine kleinliche und eigennützige Liebe gewesen, die sich dadurch hätte beirren lassen. Wenn es Holmes’ Ansporn war, die Verbrecher zu finden, so hatte ich einen zehnmal stärkeren darin, den Schatz zu finden.
In der Baker Street angekommen, nahm ich ein Bad und wechselte die Kleider, worauf ich mich wie neugeboren fühlte. Als ich in unser Tageszimmer hinunterkam, stand das Frühstück bereits auf dem Tisch, und Holmes war im Begriff, Kaffee einzugießen.
»Da haben wir’s«, sagte er lachend und wies auf die Zeitung, die aufgeschlagen vor ihm lag. »Der tatkräftige Jones und der allgegenwärtige Reporter haben die Sache unter sich ausgemacht. Aber mittlerweile haben Sie den Fall bestimmt satt. Wenden Sie sich lieber erst Ihren Eiern mit Schinken zu.«
Ich nahm ihm die Zeitung – es war der
Standard –
aus den Händen und las folgende kleine Notiz, die mit der Überschrift »Rätselhafter Vorfall in Upper Norwood« versehen war.
Gestern abend gegen Mitternacht wurde Mr. Bartholomew Sholto von
Pondicherry Lodge
in Upper Norwood tot in seinem Zimmer aufgefunden. Die Umstände deuten auf ein Verbrechen hin. Soweit in Erfahrung zu bringen war, konnten an der Leiche von Mr. Sholto keine Spuren von Gewaltanwendung festgestellt werden, jedoch ist eine wertvolle Sammlung indischer Kleinodien, die der Verstorbene
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