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Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Titel: Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Kandel
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Bereich der Netzhaut erhält, transportiert Informationen über unsere Wahrnehmung und Identifizierung von Personen, Objekten, Szenen und Farben – wie sie aussehen und worum es sich handelt. Diese Bahn verläuft von der primären Sehrinde über mehrere zusätzliche Relais, bevor sie den unteren temporalen Cortex erreicht. Dies ist der Bereich für die visuelle Verarbeitung der oberen Ebene, wo Informationen über Gestalt und Identität von Objekten, Gesichtern und Händen repräsentiert sind (Abb. 17-2). Die »Was«-Bahn unterteilt sich überdies in ein hoch auflösendes Formsystem , das mithilfe von Farbe und Leuchtdichte Objekte und Personen definiert, und ein niedrig auflösendes Farbsystem , das die Farben von Oberflächen definiert.

Die »Wo«-Bahn erstreckt sich von der primären Sehrinde bis zum hinteren parietalen Cortex. Diese Bahn empfängt ihren Input weitgehend von den Stäbchen in den peripheren Netzhautbereichen und ist darauf spezialisiert, Bewegung und räumliche Information aufzuspüren – wo sich Objekte oder Personen befinden und wie sie sich im dreidimensionalen Raum bewegen (Abb. 17-2). Die »Wo«-Bahn liefert die Informationen, die man zum Steuern von Bewegungen benötigt; dazu gehören auch Augenbewegungen, die für das Abtasten (Scannen) eines Bildes oder einer Szene von fundamentaler Bedeutung sind. Im Gegensatz zur »Was«-Bahn ist die »Wo«-Bahn farbenblind. Sie reagiert jedoch schneller und empfindlicher auf Kontraste (Helligkeitsunterschiede) und kann daher Bewegungen oder undeutliche Objekte rasch entdecken.
    Wie werden die Aktivitäten der beiden Bahnen koordiniert? Gibt es einen endgültigen Zielbereich, in dem alle Elemente eines Wahrnehmungsobjekts – Gestalt, Farbe, Position – zusammentreffen? Untersuchungen der Kognitionspsychologin Anne Treisman von der Princeton University haben erbracht, dass die Verknüpfung der Informationen aus »Was«-Bahn und »Wo«-Bahn, was sie als Bindungsproblem bezeichnet, nicht an einem einzigen Ort im Gehirn festzumachen ist. Die Verknüpfung erfolgt vielmehr, wenn die Aktivitäten der verschiedenen Regionen dieser beiden Bahnen koordiniert werden – und diese Koordination erfordert Aufmerksamkeit.
    Tatsächlich haben Robert Wurtz und Michael Goldberg von den National Institutes of Health entdeckt, dass Aufmerksamkeit die Reaktion von Nervenzellen auf einen visuellen Reiz erheblich beeinflusst. Wenn ein Affe seine Aufmerksamkeit auf einen Reiz richtet, ist die Reaktion der Neuronen auf diesen Reiz viel stärker, als wenn das Tier mit seinem Blick etwas anderes fixiert.
    Wie wird diese selektive Aufmerksamkeit erreicht? Um ein Gesicht in einem Porträt wahrnehmen und effektiv darauf reagieren zu können, müssen wir es natürlich ansehen und unsere Aufmerksamkeit darauf richten. Da wir Bilder aber nur in der Sehgrube, dem Zentrum der Netzhaut, deutlich erkennen, können wir ein Gesicht nicht auf einmal in seiner Gesamtheit betrachten – es ist zu groß. Weil wir unsere Aufmerksamkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt immer nur auf ein Ziel richten können, überfliegen – oder »scannen« – wir das Gesicht blitzschnell, wobei wir zuerst die Augen und dann den Mund fokussieren. (Die Augen sind wichtige Anzeiger von Emotionen; wenn Menschen Probleme damit haben, Augen zu fixieren oder zu scannen, wie Autisten oder Personen mit Schädigungen der Amygdala, dann fällt es ihnen auch schwer, die Gefühlsäußerungen anderer Menschen zu interpretieren.) Die schnellen Abtastbewegungen der Augen nennt man Sakkaden . Sie sind aus zwei Gründen unverzichtbar – zum einen erlauben sie der Sehgrube, die visuelle Umgebung zu erkunden, und zum anderen ermöglichen sie das Sehen an sich (wenn unsere Augen längere Zeit einen Punkt fixieren, beginnt das Bild zu verschwimmen).
    Das Scannen erfolgt so schnell, dass wir das Bild in seiner Gesamtheit zu sehen glauben, doch nur während der Fixationsphase zwischen den Sakkaden nehmen wir bewusst auf, was wir sehen. Mit Geräten, die Augenbewegungen aufzeichnen, lässt sich zeigen, dass wir unsere Eindrücke von Gesichtern und dem Rest der Welt um uns herum Stückchen für Stückchen, Fixationsphase für Fixationsphase gewinnen. Demnach sind Sakkaden also nicht nur reflexhafte Bewegungen, die beispielsweise erfolgen, wenn am Rand unseres Gesichtsfeldes plötzlich ein Bild erscheint, sondern sie suchen auch nach Informationen.
    Es ist jedoch das Gehirn, das entscheidet, worauf sich die Augen richten – und das

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