Das Zeitalter der Fuenf 01 Priester
Erinnerungen anzusammeln, die nicht unsere eigenen sind, aber für gewöhnlich können wir den Unterschied feststellen. Wenn eine Erinnerung jedoch sehr alt ist, ist es leichter zu vergessen, dass sie nicht unsere eigene ist. Und in seltenen Fällen, wenn ein Traumweber ein sehr schmerzhaftes Erlebnis verarbeiten muss, vermischen sich seine Erinnerungen mit Netzerinnerungen.«
Leiard lächelte. »Ich habe kein solches Erlebnis gehabt, Olameer.«
»Nicht soweit du dich erinnern kannst«, erwiderte sie sanft.
Er zuckte die Achseln. »Nein.«
»Würdest du... würdest du heute Abend gern eine Vernetzung durchführen? Ich könnte mir diese Netzerinnerungen einmal genauer ansehen und versuchen, die Identität zu ermitteln, die hinter ihnen steht.«
Leiard nickte langsam. »Ja. Es ist zu viel Zeit vergangen, seit ich das letzte Mal das Ritual vollzogen habe.« Er bemerkte, dass Jayim ihn eindringlich ansah, und lächelte. »Und Jayim sollte sich zu uns gesellen. Er ist seit dem Tod seines Lehrers vor sechs Monaten nicht mehr ausgebildet worden.«
»Oh, ihr braucht euch meinetwegen keine Mühe zu machen«, erklärte Jayim hastig. »Ich wäre nur... im Weg.«
Tanara betrachtete ihren Sohn voller Überraschung. »Jayim! Ein solch großzügiges Angebot solltest du nicht ausschlagen.«
Leiard sah Olameer an. In ihren Zügen lag ein wissender Ausdruck.
»Ich kann nicht. Ich bin heute Abend mit einem Freund verabredet«, erklärte Jayim seiner Mutter.
Millo musterte seinen Sohn mit einem Stirnrunzeln. »Davon hast du vorhin nicht gesprochen. Willst du allein gehen? Du weißt, dass es gefährlich ist.«
»Ich werde schon zurechtkommen«, sagte Jayim. »Es ist nicht weit bis zu Vins Haus.«
Tanara presste die Lippen zusammen. »Du kannst morgen früh zu ihm gehen.«
»Aber ich habe es versprochen«, protestierte Jayim. »Er ist krank.«
Tanara zog die Augenbrauen hoch. »Schon wieder?«
»Ja. Es ist die Atemkrankheit. Sie wird im Sommer schlimmer.«
»Dann sollte ich dich am besten begleiten«, warf Leiard ein. »Ich kenne viele Möglichkeiten der Behandlung für Krankheiten der Lunge.«
»Ich...«
»Vielen Dank, Leiard«, sagte Tanara. »Das ist sehr freundlich von dir.«
Jayim blickte zwischen seiner Mutter und Leiard hin und her, dann sanken seine Schultern herab. Tanara stand auf und sammelte das schmutzige Geschirr ein. Olameer gähnte anmutig, dann erhob sie sich, um ihrer Gastgeberin zu helfen.
»Es ist vielleicht ganz gut so«, murmelte sie. »Ich bin wahrscheinlich zu müde, um dir von Nutzen sein zu können, Leiard. Ich schlafe auf Schiffen niemals gut.«
Er nickte. »Danke für das Angebot. Vielleicht ein andermal?«
»Ich werde morgen in aller Frühe aufbrechen, aber wenn du nach meiner Rückkehr noch hier bist, werden wir das Ritual dann vollziehen. In der Zwischenzeit, gehab dich wohl.« Sie berührte nacheinander Brust, Mund und Stirn. Leiard erwiderte die Geste und sah aus den Augenwinkeln, dass Jayim hastig seinem Beispiel folgte.
Als Olameer den Raum verlassen hatte, stand Leiard auf und blickte erwartungsvoll zu Jayim hinüber.
»Womit verdient dein Freund seinen Lebensunterhalt?«
Der Junge schaute auf. »Sein Vater ist Schneider, daher erlernt er dasselbe Gewerbe.«
»Wird seine Familie protestieren, wenn ich ihr Haus besuche?«
Jayim zögerte; offensichtlich erwog er diese Chance, Leiard fortschicken zu können, dann schüttelte er den Kopf. »Nein. Sie werden nichts dagegen haben. Mein Lehrer hat ihnen geholfen, seit Vin auf der Welt ist. So habe ich ihn auch kennengelernt. Ich werde nur schnell meine Tasche holen.«
Leiard wartete, während Jayim einen kleinen Beutel aus seinem Zimmer herbeiholte. Sobald sie das Haus verlassen hatten, gab der Junge einen schnellen Schritt vor. Die Straße war dunkel und verlassen. Die Fenster der Häuser zu beiden Seiten waren helle Quadrate aus Licht, und Leiard konnte Stimmen und Bewegungen dahinter wahrnehmen.
»Warum hast du beschlossen, Traumweber zu werden, Jayim?«, fragte er leise.
Jayim blickte zu ihm auf, aber es war zu dunkel, um in seinen Zügen zu lesen.
»Ich weiß es nicht. Ich habe Calem, meinen Lehrer, sehr gemocht. So, wie er die Arbeit der Traumweber darstellte, klang alles sehr nobel. Ich hätte den Menschen auf eine Art und Weise geholfen, wie es den Zirklern niemals möglich wäre. Außerdem habe ich die Zirkler gehasst.«
»Dann hasst du sie jetzt also nicht mehr?«
»Doch, aber...«
»Aber?«
»Nicht so, wie ich sie
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