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Das zweite Zeichen

Titel: Das zweite Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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das Geld hatte sie ja schließlich gebraucht. Also
hatte sie ihren Freund übers Ohr gehauen...
»Hast du die Kamera in Charlies Bude eingeschmuggelt?«
»Nein!« Trotz allem, was geschehen war, schmerzte dieser Vorwurf anscheinend immer noch. Rebus
nickte. Also hatte Charlie die Kamera gestohlen oder jemand anders hatte sie dort
eingeschmuggelt. Damit er sie finden würde. Nein... nicht ganz, denn nicht er hatte sie
gefunden, sondern McCall. Und zwar sehr einfach, genauso wie er ganz locker den Koks in dem
Schlafsack gefunden hatte. Ein gute Polizistennase? Oder etwas anderes? Vielleicht eine kleine
Information, eine Insider-Information? Wenn man seinen Freunden nicht trauen konnte...
»Hast du die Kamera in der Nacht gesehen, in der Ronnie starb?«
»Sie war in seinem Zimmer. Da bin ich mir ganz sicher.« Sie blinzelte, um die Tränen
zurückzuhalten, und putzte sich die Nase mit dem Taschentuch, das Rebus ihr gegeben hatte. Ihre
Stimme klang immer noch brüchig, als hätte sie einen kleinen Kloß im Hals, doch allmählich
erholte sie sich von dem Schock, den sie beim Anblick des Fotos erlitten hatte, und von dem noch
größeren Schock darüber, dass Rebus nun wusste, dass sie Ronnie betrogen hatte.
»Dieser Typ, der Ronnie besuchen kam, der war nach mir in Ronnies Zimmer.«
»Du meinst Neil?«
»Ich glaub, so hieß der.«
Zu viele Köche, dachte Rebus. Er würde wohl seine Auffassung von »Indizien« revidieren müssen.
Bisher hatte er allerdings so gut wie nichts, das nicht auf reinen Indizien beruhte.
Zugleich hatte er das Gefühl, dass die Spirale größer wurde und ihn immer weiter von dem
zentralen, dem entscheidenden Punkt entfernte, dem Punkt, an dem Ronnie tot auf einem feuchten,
kahlen Boden lag, umgeben von Kerzen und zweifelhaften Freunden.
»Neil war Ronnies Bruder.«
»Wirklich?« Ihre Stimme klang desinteressiert. Der eiserne Vorhang zwischen ihr und der Welt
senkte sich langsam wieder. Die Matinee war vorbei.
»Ja, wirklich.« Rebus spürte eine plötzliche Kälte. Wenn es niemanden, niemanden außer
Neil und mich interessiert, was mit Ronnie passiert ist, warum mache ich mir dann überhaupt
Gedanken darüber?
»Charlie hat immer geglaubt, die hätten irgendwie eine schwule Beziehung. Ich hab Ronnie nie
gefragt. Er hätte es mir vermutlich auch gar nicht gesagt.« Sie lehnte den Kopf gegen den Sitz
und wirkte wieder entspannter. »O Gott.« Mit einem pfeifenden Geräusch stieß sie Luft aus.
»Müssen wir denn unbedingt hier bleiben?«
Ihre Hände hoben sich langsam, als wollte sie ihren Kopf umschließen, und Rebus wollte gerade die
Frage verneinen, da sah er dieselben Hände, zu kleinen Fäusten geballt, rasch nach unten sausen.
Es war kein Platz, um auszuweichen, und so trafen sie ihn voll in den Unterleib. Irgendwo hinter
seinen Augen blitzte es auf, und die ganze Welt bestand nur noch aus Lärm und irrsinnigem
Schmerz. Er brüllte, krümmte sich vor Schmerzen und ließ den Kopf auf das Lenkrad sinken, das
gleichzeitig die Hupe des Autos war. Sie plärrte ungerührt vor sich hin, während Tracy ihren
Sicherheitsgurt löste, die Tür öffnete und sich locker aus dem Auto schwang. Sie rannte davon und
ließ die Tür weit offen stehen.
Rebus musste mit Tränen in den Augen zusehen, als wäre er in einem Swimming-Pool, beobachtete,
wie sie am Rande des Beckens davonlief, während ihm das Chlor in den Augen brannte.
»Allmächtiger«, stöhnte er, immer noch über das Lenkrad gebeugt. Er würde sich wohl noch eine
ganze Weile nicht rühren können.
Denk wie Tarzan, hatte sein Vater mal zu ihm gesagt, einer der wenigen Ratschläge des
alten Herrn. Es war um Prügeleien gegangen, um Zweikämpfe mit den Jungs in der Schule. Vier Uhr
hinter dem Fahrradschuppen, diese Geschichten. Denk wie Tarzan. Du bist stark, der König des
Dschungels, und vor allem musst du deine Eier schützen.
Und der alte Knabe hatte ein angewinkeltes Knie auf den Schritt des jungen John zubewegt...
»Danke, Dad.« Rebus' Stimme klang jetzt fauchend. »Danke, dass du mich daran erinnerst.« Dann
drehte sich ihm der Magen um.

Gegen Mittag konnte er schon fast wieder gehen, so lange er die Füße nicht zu weit vom Boden hob,
und er bewegte sich, als hätte er in die Hose gemacht. Natürlich starrten die Leute ihn an, und
er versuchte, speziell für sie so zu tun, als würde er hinken. Stets bereit, die Menschheit zu
erfreuen.
Der Gedanke an die Treppe zu seinem Büro hinauf war unerträglich, und

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