Dave Duncan
»Ich verstehe. Nun, damals in uralten Zeiten, in der Dunklen Zeit, ging es in Pandemia sehr brutal zu. Es gab Magie, und in ihr war viel Böses. Zauberer ernannten sich selbst zu Königen und führten Krieg gegeneinander. Es gibt Legenden von großen Massakern, von Plünderei und Zerstörung, von Männern, die gegen Drachen kämpften, von Ungeheuern, die ganze Armeen zerstörten, von Feuersbrünsten, die glücklose Städte niederwalzten, und es gibt auch Geschichten von Armeen, die sich gegen ihre eigenen Anführer richteten. Es war eine grauenhafte Zeit. Ihr müßt solche Geschichten gehört haben!«
Rap schüttelte den Kopf, obwohl er einiges davon kannte.
»Ist das relevant?« fragte sie.
»Ich denke schon.«
Jetzt warf die Kaplanin dem Stallknecht einen verwirrten Blick zu. Der Stallknecht zuckte die Achseln.
»Der Imperator Emine II. gründete den Rat der Vier vor beinahe dreitausend Jahren. Er ließ die vier mächtigsten Zauberer aus ganz Pandemia zusammenkommen und beauftragte sie, das Impire gegen Zauberei zu schützen. Hub ist die Stadt der fünf Hügel, wie Ihr wißt.« Sie seufzte. »Die Stadt der Götter! Der wunderschönste Ort, das Zentrum des Impire, an den Küsten von Cenmere. Ich habe dort drei Jahre verbracht, als ich… Aber ich schätze, das gehört nicht hierher. Nun, der Palast des Imperators liegt in der Mitte, und auch die vier Hexenmeister hatten jeder einen: im Norden, Osten, Süden und Westen. Der Imperator selbst mußte immer ein Weltlicher sein, damit das Gleichgewicht gewahrt blieb. Niemand darf gegen den Imperator selbst oder gegen seine Familie oder seinen Hof Zauberei einsetzen.«
Rap nickte und wartete auf weitere Einzelheiten.
Unonini schien sie ihm nur ungern geben zu wollen, doch nach einer Weile leckte sie sich die Lippen und fuhr fort. »Das System funktioniert, bis auf einige zeitweise Unterbrechungen, bis heute. Gleichgewicht ist der Schlüssel, versteht Ihr, genau wie das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse die Welt regiert, so regiert das Gleichgewicht zwischen den Hexenmeistern das Impire. Wenn sich ein böser Zauberer erhebt, vereinigen sich die Vier Wächter gegen ihn. Zauberer sind auch menschlich, Master Rap. Sie stehen zwischen Gut und Böse wie wir alle – vielleicht um so mehr, als ihre Macht, Gutes oder Böses zu tun, so viel größer ist. Und wenn einer der Vier dem Bösen anheimfällt, können sich die anderen drei gegen ihn vereinigen. Nur so läßt sich die Anarchie verhindern, die in den Dunklen Zeiten geherrscht hat. Gleichgewicht!«
Rap nickte. »Aber erzählt mir von den gegenwärtigen Wächtern?« »Warum?«
»Ich glaube, ich habe eine von ihnen kennengelernt.«
Unonini schnappte nach Luft und blickte wieder zum Stallknecht hinüber, der ein finsteres Gesicht machte.
»Welche, Bursche?«
»Eine sehr alte Koboldfrau?«
Die Kaplanin schloß für einen Augenblick die Augen, dann bewegten sich ihre Lippen.
»Erzählt uns davon«, sagte Hononin und wirkte sogar auf Rap furchterregend.
Also berichtete Rap von den beiden Malen, als er die Erscheinung gesehen hatte, und daß sie, wie es ihm schien, besonderes Interesse an Little Chicken gehabt hatte. Den Kobold sah er dabei nicht an; er sprach so schnell er konnte und im schnellsten Impisch, das er zuwege brachte.
Es folgte eine Pause, dann schüttelte sich die Kaplanin. »Bright Water«, flüsterte sie, und der Stallknecht nickte.
»Das klingt nach ihr«, sagte er. »Rap, Bursche, ich glaube, du hast eine getroffen. Sie ist die Hexe des Nordens, und die Legende sagt, sie ist beinahe dreihundert Jahre alt – Zauberer leben sehr lange. Sie gehört schon länger zu den Vier als alle anderen.«
»Und?«
Wieder sprach der Stallknecht, und selbst er flüsterte jetzt. »Sie sagen, sie sei total verrückt.« Rap schaute unbehaglich zu Little Chicken hinüber, und seine merkwürdigen Koboldaugen blickten ihn durchdringend an. Er grinste mit seinen gigantischen Zähnen zu Rap hinüber. »Flat Nose, das hast du mir nicht erzählt.«
»Nein«, gestand Rap ein. »Ich dachte, vielleicht sei ich derjenige, der verrückt war. Ich werde es dir später erzählen. Ich verspreche es.«
Der Kobold nickte.
»Erzählt mir von den anderen drei, Mutter.«
Sie zögerte. »Ich möchte nicht über sie reden. Niemand tut das. Zur Zeit gibt es nur eine Hexe. Die anderen drei sind Männer, Hexenmeister. Im Süden ist es ein Elf, im Osten ein Imp und der neueste, im Westen, ein junger Zwerg. Ich weiß nicht sehr viel,
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