DEAD SHOT
um die instinktive Angst vor dem Unbekannten zu unterdrücken.
Es war nicht vollkommen dunkel, als er die Augen nur ein Stück weit aufmachte. Er nahm etwas Licht wahr, das der unmittelbaren Umgebung Konturen verlieh. Doch da er noch so gut wie blind war, verließ er sich auf die anderen Sinne, um herauszufinden, was um ihn herum geschah. Sein Kopf schmerzte. Die Nachwirkungen des Schlafmittels. Verletzt war er nicht.
Das Erste, was ihm auffiel, war das gleichbleibende Geräusch von Triebwerken und ein leichtes Vibrieren, das ihm verriet, dass er sich in einem Flugzeug befand. Auf der Haut spürte er die kühle Luft der Klimaanlage. Wer auch immer ihn überwältigt hatte, brachte ihn in einem kleinen modernen Jet fort.
Als er sich bewegte, um mehr in Erfahrung zu bringen, merkte er schnell, dass man ihn an ein kleines Bett gefesselt hatte. Erst jetzt fühlte er, dass er keine Kleidung mehr am Leib trug und unter einer Decke lag. Seltsam. So wurde ein Gefangener im Ausland eigentlich nicht behandelt. Jemand hatte ihm ein kondomähnliches Teil über den Penis gestülpt, damit der Urin in eine Flasche ablaufen konnte. Dünne Drähte berührten seine Haut. Elektroden, die die Herzfrequenz auf einen Monitor übertrugen.
Kurz nachdem er wieder zu Bewusstsein gekommen war, hatte er geglaubt, von Terroristen entführt worden zu sein, was ihm eine ziemlich unangenehme Zeit beschert hätte. Doch während er reglos auf der weichen Matratze lag, hörte er gedämpfte Stimmen aus einer angrenzenden Kabine: Die Leute sprachen Englisch. Kyle schlussfolgerte, dass er ein Gefangener der US-Regierung war. Man wollte ihn nicht umbringen, und daher konnte er im Augenblick nicht mehr viel tun. Ein kaum wahrnehmbares Klicken drang an seine Ohren – die nächste Dosis des Schlafmittels kam durch die Kanüle direkt in seine Vene. Kyle kontrollierte seine Atmung und ließ sich wieder in den Schlaf ziehen.
»Dieser Kerl ist ein verdammter Geist«, sagte FBI Special Agent Hunt, jener Mann, der Kyle in Paris durch den Feldstecher beobachtet hatte. Jetzt nahm er die Brille ab und rieb sich die Augen. Agent Carolyn Walker vom Home Department saß ihm in der Gulfstream am Tisch gegenüber und ging einige Papiere durch. Mehr als vier Stunden waren verstrichen, seit sie den Schützen zu fassen bekommen hatten. Und immer noch entzog dieser Mann sich einer soliden Identifizierung.
Der Unbekannte, der in der hinteren Kabine auf einem Bett festgebunden war und ein Schlafmittel erhielt, hatte keine Kreditkarten in seinem alten schwarzen Portemonnaie gehabt. Nur fünfhundert Dollar in bar und einen Führerschein aus Arizona, der offenbar gefälscht war. Sie fanden keine Sozialversicherungsnummer. Die Taschen waren leer. Sie hatten das Gesicht des Mannes abgelichtet, von vorn und im Profil, die Bilder digital vergrößert und nach Washington übermittelt, zusammen mit den Fingerabdrücken, um diese Daten durch die Rechner der Regierung zu jagen. Bislang spuckten die Computer nichts aus. Kein Treffer.
Walker legte die Digitalaufnahmen auf den Tisch, die von dem schlafenden Mann gemacht worden waren. »Bisher gibt uns nur sein Körper einige Informationen. Keine Tattoos oder andere Male, über die wir ihn identifizieren könnten. Aber diese Narben stammen von Messerstichen und Einschüssen und fachmännischen Operationen. Das sind Kriegsverletzungen.«
»Hieße also, er ist vom Militär.« Hunt verließ seinen Platz und schritt auf und ab. »Okay. Ist er noch aktiv oder schon ausgeschieden? Ein Söldner? Verdammt, Carolyn, wir wissen ja nicht mal, ob er Amerikaner ist.«
Sie kaute auf einem Fingernagel. »Mein Bauchgefühl sagt mir, dass er einer von uns ist, da niemand sonst die Möglichkeit hat, seine Identität so gründlich aus den US-Datenbanken zu löschen. Dabei muss ihm jemand geholfen haben, und das stellt uns vor das eigentliche Problem. Wir haben Bilder von ihm, auf denen er Saladin mit der Pistole in den Kopf schießt, was den Schluss nahelegt, dass er auch derjenige war, der den Todesschuss mit dem Gewehr abgab. Er tötete den Mann gezielt, aber das ist von unserem Land nicht abgesegnet. Deswegen bringen wir ihn in die Staaten zurück. Denn dort liegt die Antwort.«
»Das ergibt irgendwie keinen Sinn«, sagte Hunt. »Selbst wenn er ein Insider ist, hätten wir doch wissen müssen, dass er in Paris herumschnüffelt. Das war doch kein Zufall.«
Eine andere Gulfstream der Regierung flog an diesem Abend ebenfalls nach Washington. Die
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