Deadline - Rache, wem Rache gebuehrt
gewusst. Quinn war einer der verschwiegensten Menschen, die er kannte. Er hatte keine Ahnung, was sie in ihrer Freizeit trieb. »Und du?«
»Frag mich nicht.«
»Ich habe deinen Wagen gesehen.« Sie schüttelte den Kopf.
»Autsch.«
»Scheiße ist das«, sagte er mit neu aufsteigender Wut.
»Hast du eine Ahnung, wer das gewesen sein kann?« Sie warf den Rucksack auf den Stuhl, der gewöhnlich Verdächtigen oder Zeugen vorbehalten war.
»Irgend so ein hirnloses schwanzloses Arschloch.« Er schnaub te empört, griff nach einem Kuli und ließ ihn ratlos klicken. »Vielleicht jemand, den ich mal verknackt habe, vielleicht reiner Vandalismus. Ich werde noch prüfen, ob in der näheren Umgebung irgendwo Überwachungskameras angebracht sind, aber ich schätze, meine Chancen, den Kerl zu schnappen, sind gleich null.«
»Und was hast du da?« Sie wies mit einer Kopfbewegung auf die Akte Cahill, die aufgeschlagen auf seinem Schreibtisch lag.
»Nichts. Und du?«
»Gleichfalls nichts.« Sie lehnte sich mit der Hüfte an seinen Schreibtisch und öffnete den Schraubverschluss ihrer Wasserflasche. »Ich sichte noch immer das Material, das wir in Eugenias Safe gefunden haben. Aktien, Bargeld, Schmuck, das Testament, ein paar persönliche Gegenstände.«
»Zum Beispiel?«
»Eine Familienchronik, so nennt man das wohl. Vielleicht sind es auch Eugenias Memoiren. Sie war ziemlich akribisch. Als ob sie eines Tages ein Buch schreiben wollte.« Sie trank einen großen Schluck Wasser und schraubte die Flasche wieder zu.
»Irgendwas Gutes?«
»Nichts von Bedeutung. Jedenfalls nichts, womit ich etwas anfangen könnte. Es gibt auch Fotos. Einige sehen aus, als wären sie hundert Jahre alt. Ich gebe mir viel Mühe, herauszufinden, wer wer ist, um die Hauptbeteiligten zu identifizieren.«
»Interessant?«
»Bisher nicht, aber ich bin noch nicht ganz fertig.«
»Viel Glück dann«, sagte er.
»Wie steht’s mit Tipps? Hat irgendjemand unsere Mary Smith gesehen?«
»Nein. Auch Marla nicht.« Seit Marlas Flucht tauchte ihr Foto immer wieder in den Medien auf. Jetzt hatte die Polizei ein vom Polizeizeichner angefertigtes Porträt veröffentlicht, doch alle eingegangenen Hinweise erwiesen sich entweder als Irrtümer oder als Falschmeldungen von Spinnern, die an den Ermittlungen beteiligt sein wollten. Sie wollten auf Biegen und Brechen ihre Viertelstunde Ruhm ergattern. Tja, aber nicht mit Paterno.
»Vielleicht ergibt sich ja doch noch etwas.«
Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Sie griff nach dem Riemen ihres Rucksacks und ging zu ihrem Schreibtisch hinüber. Als sie sich auf ihren Stuhl sinken ließ, dudelte ihr Handy irgendeine Melodie aus den Achtzigern. Herrgott, er verabscheute diese albernen Klingeltöne. Verschwendung von Zeit und Geld. Er bewegte den Kopf, bis es im Nacken knackte. Da verzog er das Gesicht und griff erneut nach dem Phantombild von Mary Smith.
Wer bist du?
Am Montagmorgen beschloss Cissy, das Haus zu verlassen und ihren Artikel im Café zu Ende zu schreiben. Seit sie den merkwürdigen Mann in Schwarz gesehen hatte, war sie nicht mehr bei Joltz gewesen, doch jetzt sagte sie sich, dass der Zusammenstoß mit dem Widerling nur Zufall war, eine Folge von schlechtem Timing und überreizten Sinnen.
Im Augenblick ging eben alles drunter und drüber, das war’s. Als sie ihr Haar zurückkämmte und es am Hinterkopf zu einem lockeren Knoten schlang, ermahnte sie sich, sich zusammenzureißen und weiterzumachen.
Früher oder später würde sie sich mit den Anwälten auseinandersetzen und überlegen müssen, was mit dem Haus ihrer Großmutter geschehen sollte, aber heute wollte sie ein paar Stunden arbeiten, joggen, sofern es das Wetter zuließ, und den Rest des Tages mit Beejay verbringen, während sie die Karten und Spenden an Cahill House sichtete, die nach dem Tod ihrer Großmutter dort eingegangen waren.
Tanya, die Coco immer noch misstrauisch beäugte, war gekommen und hatte versprochen, mit Beejay in den Park zu gehen, sobald die Sonne herauskam. Cissys Entschluss, der jungen Frau zu kündigen, war ins Wanken geraten, nachdem Tanya bei der Begräbnisfeier so tatkräftig mitgewirkt hatte.
Angesichts des Wetters vermutete Cissy, dass Tanya den Spaziergang im Park wahrscheinlich würde ausfallen lassen. Der Himmel war bleigrau. Es regnete zwar noch nicht, doch die aufziehenden dichten Wolken verrieten, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis es anfing zu tröpfeln.
Es herrschte dichter Verkehr,
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