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Deadlock

Deadlock

Titel: Deadlock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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der noch im Umschlag steckte. Paige faltete den Brief auseinander. Ich erkannte sofort Champs winzige, ordentliche Handschrift. Der Brief begann: »Wundervolle Paige!« Weiter brauchte ich wohl nicht zu lesen. »Ja«, sagte ich. »Entschuldigen Sie.«
    Die honigfarbenen Augen blickten mich vorwurfsvoll und etwas kühl an. »Ich muss mich auch entschuldigen. Tut mir Leid, dass Sie mir nicht getraut haben.« Ich schwieg. Ohne Zweifel hatte Champ den Brief geschrieben - seine Handschrift war unverkennbar -, doch weshalb trug sie ihn in der Handtasche herum, bereit, ihn jederzeit vorzuweisen?
    »Hoffentlich sind Sie nicht eifersüchtig, weil Champ mein Liebhaber war.« Ich lächelte. »Das hoffe ich auch, Paige.« Damit wäre natürlich mein Misstrauen erklärt. Zumindest für Paige.
    Kurz darauf brachen wir auf - Paige mit unbekanntem Ziel, ich fuhr nach Hause. Was für ein trister Tag! Kelvin ermordet, die Unterredung mit Mrs Kelvin und dann das unbefriedigende Zusammentreffen mit Paige. Vielleicht war ich tatsächlich ein kleines bisschen eifersüchtig. Wenn du dich schon verlieben musstest, mein lieber Vetter, warum dann gleich in eine so makellose Person? Ich konnte mir nicht denken, wo Champ seine persönlichsten Dokumente aufbewahrte. Ein Schließfach hatte er nicht. Sein Anwalt war nicht im Besitz irgendwelcher geheimer Papiere. Das Gleiche galt auch für Myron Fackley, seinen Manager, und für mich selbst. Falls Paiges Angaben über die Aktien stimmten: Wo waren sie hingekommen? Wem hatte Champ noch vertraut - außer mir? Seinen alten Teamkameraden vielleicht. Morgen würde ich Fackley anrufen und ihn bitten, mich mit Pierre Bouchard zusammenzubringen, dem Mann, der Champ am nächsten gestanden hatte.
    Ich leistete mir ein Abendessen im Gypsy, einem hübschen und ruhigen Lokal im südlichen Teil der Clark Street. Nach einem Tag, der mir Ärger und Enttäuschungen gebracht hatte, stand mir ein wenig Verwöhnung zu. Bei Kalbsleber in Senfsauce und einer halben Flasche Barolo überlegte ich mir, was noch zu erledigen war. Erstens: Paiges familiären Hintergrund durchleuchten. Zweitens: Fackley nach Pierre Bouchards Telefonnummer fragen. Drittens: dem Chicagoer Hafen nochmals einen Besuch abstatten. Falls es zwischen Kelvins und Champs Tod irgendeinen Zusammenhang gab, musste es mit dem zu tun haben, was Champ dort beobachtet hatte.
    Das war einer der seltenen Augenblicke, in denen ich mir einen Partner wünschte, jemanden, der sich mit Paiges Vergangenheit befassen konnte, während ich mich voll auf die Eudora-Getreideverschiffungsgesellschaft konzentrierte.
    Zu Hause hängte ich mich ans Telefon. Murray Ryerson, Gerichtsreporter beim »Herald-Star«, war bereits nach Hause gegangen. Ich hinterließ eine Nachricht im Innenstadtbüro. Ferner gab ich auf Fackleys Anrufbeantworter meinen Namen und meine Telefonnummer an. Mehr konnte ich fürs Erste nicht tun. Also ging ich zu Bett. Wirklich - das Leben hielt ständig neue Abenteuer für mich bereit.

8
    Zunftgeheimnisse
    Nach meiner Joggingrunde am nächsten Morgen versuchte ich noch einmal, Murray zu erreichen. Offenbar stand ich neuerdings zu früh auf - der »Star«-Reporter war noch nicht zur Arbeit erschienen. Ich hinterließ wieder eine Nachricht und zog mich an: dunkelblaue Leinenhose, weiße Bluse und dunkelblaue Chanel-Jacke, dazu ein leuchtend rotes Tuch und marineblaue Slippers. Zäh, aber elegant - diesen Eindruck sollte die Eudora von mir bekommen. Eine weite Bluse und Jog-gingschuhe warf ich auf den Rücksitz meines Wagens. Ich hatte keine Lust, mir in den Silos meine besten Sachen zu ruinieren.
    Margolis wartete schon auf mich. Als die Männer von der Frühschicht zur Frühstückspause kamen, unterhielt ich mich mit ihnen zwanglos im Hof. Die meisten waren sehr zugänglich: Die Anwesenheit eines Detektivs, selbst eines weiblichen, stellte eine willkommene Abwechslung im eintönigen Tagesablauf dar. Allerdings hatte keiner von ihnen den Unfall meines Vetters beobachtet. Jemand schlug vor, ich solle doch mit den Leuten auf der »Lucella« reden, und ein anderer meinte, ich müsste mich an Phillips wenden.
    »Trieb der sich auch hier herum? Daran kann ich mich nicht erinnern«, sagte ein untersetzter Bursche mit unglaublich muskulösen Unterarmen.
    »Doch, er war hier. Kam mit Warshawski hier durch und forderte Dubcek auf, seine Ohrenschützer anzulegen.«
    Nach einigem Hin und Her kamen sie zu dem Ergebnis, dass die Behauptung stimmte. »Er hielt sich in

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