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Deadlock

Deadlock

Titel: Deadlock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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der bei der Suchaktion über Leichen gehen würde. Und doch war es passiert, und ich fühlte mich dafür verantwortlich. Es sah ganz danach aus, als hätte ich in einer Mordsache zu ermitteln. Mein Anruf landete bei Paige Carringtons telefonischem Auftragsdienst. Ich hinterließ keine Nachricht, sondern suchte die Adresse des Windy City Ballet heraus: 5400 North Clark Street. Auf dem Weg dorthin genehmigte ich mir ein belegtes Brötchen und eine Cola.
    Die Räume des Balletts befanden sich in einem ehemaligen Lagerhaus, zwischen einem koreanischen Restaurant und einem Geschäft für Verpackungsmaterial. Von außen machte es einen heruntergekommenen Eindruck, doch innen erstrahlte es in neuem Glanz. Der kahle Vorraum mit dem holzverkleideten Kassenhäuschen war mit Fotos der Tänzerinnen in den verschiedensten Rollen tapeziert. Zum Repertoire der Truppe gehörten mehrere Standardaufführungen, darunter einige von Balanchine choreografierte; sie versuchten sich aber auch an eigenen Choreografien. Paige war als Cowgirl in »Rodeo« zu sehen, ferner als Bianca in »Der Widerspenstigen Zähmung« sowie in ihrer komischen Rolle in »Clark Street Fantasy«. Ich hatte diese Aufführung bereits zwei Mal gesehen. Der Zuschauerraum lag links. Ein kleines Schild an der Tür verkündete, dass gerade eine Probe im Gange war. Leise schlüpfte ich hinein und setzte mich zu einer Hand voll von Leuten. Auf der Bühne klatschte jemand in die Hände und bat um Ruhe.
    »Wir beginnen noch einmal mit dem Scherzo. Karl, du bist eine Idee zu langsam. Und du, Paige, du musst dich bis zum Grand jete im Hintergrund halten. Position, bitte.«
    Die Tänzer trugen ein kunterbuntes Sammelsurium von Kleidungsstücken. Damit die Muskeln nicht kalt wurden, steckten ihre Beine in dicken Legwarmers aus Wolle. Die von Paige waren farblich genau auf ihr bronzefarbenes Trikot abgestimmt. Ihr dunkles Haar hatte sie straff zurückgekämmt und zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie sah aus wie sechzehn, wenigstens von meinem Platz aus.
    Jemand setzte die aufwendige Stereoanlage vor der Bühne in Gang. Musik erklang - ein misstönendes modernes Stück, dem die Choreografie durchaus entsprach. Thema war die Lasterhaftigkeit der modernen Großstadt. Karl schien diesmal seinen Auftritt nicht verpasst zu haben. Er sollte anscheinend wegen einer Überdosis Heroin mit dem Tode ringen. Paige betrat die Szene wenige Sekunden vor den Leuten von der Drogenhilfe, musste zusehen, wie er starb, und trat wieder ab. Ich verstand den Inhalt nicht auf Anhieb, bekam aber die Szene sechs Mal vorgeführt - bis die Regisseurin zufrieden war. Kurz nach fünf entließ sie die Truppe mit dem Hinweis, dass für den nächsten Morgen um zehn Uhr wieder eine Probe angesetzt sei und sie abends um acht Vorstellung hätten. Gemeinsam mit den übrigen Zuschauern begab ich mich nach vorn zur Bühne. Wir folgten den Tänzern hinter die Kulissen. Keiner kümmerte sich um uns. Ich fragte eine junge Frau, wo Paige zu finden sei, und wurde von ihr in die Solistengarderobe geschickt, drei Türen weiter links. Ich klopfte und trat ein. Zwei Frauen befanden sich im Raum. Die eine sagte, Paige sei im Augenblick unter der Dusche, und bat mich, im Vorraum zu warten - hier drin brauchten sie jeden Quadratzentimeter.
    Nach einer Weile erschien Paige auf der Bildfläche, eingehüllt in einen weißen Frotteebademantel, ein großes weißes Handtuch um den Kopf geschlungen. »Vic! Was tun Sie denn hier?«
    »Hallo, Paige! Ich hätte gern mit Ihnen gesprochen. Wenn Sie fertig sind, lade ich Sie zu einem Kaffee oder einem Gin ein, oder was immer Sie zu dieser Tageszeit trinken.«
    Die honigfarbenen Augen wurden ein wenig größer. Sie war es nicht gewöhnt, dass man über sie verfügte, auch dann nicht, wenn es so freundschaftlich geschah. »Ich weiß nicht, ob ich Zeit habe.«
    »Dann rede ich mit Ihnen, während Sie sich anziehen.« »Ist es denn so wichtig?« »Ja. Außerordentlich wichtig.«
    Sie zuckte die Achseln. »Warten Sie hier auf mich. Es dauert nur ein paar Minuten.«
    Aus den paar Minuten wurden fast drei Viertelstunden. Endlich kam sie - in einer goldfarbenen Seidenbluse und einem weißen weiten Rock. Um den Hals trug sie ein paar dünne Goldkettchen mit winzigen Brillanten. Ihr Make-up war perfekt; das Haar fiel glatt herunter.
    »Tut mir Leid, dass Sie warten mussten. Aber je mehr ich mich beeile, desto länger dauert es.«
    »Ihr kommt ja ganz schön ins Schwitzen. Was war das eigentlich, was

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