Deadlock
Uhr.
Offenbar war Lotty in ihre Klinik in der North Side zurückgefahren. In meinen Papieren steht sie als die Person, die im Notfall zu verständigen ist. Zugleich betrachte ich sie als meine Hausärztin. Ob ich sie dazu bewegen könnte, dass man mich aus dem Krankenhaus entließ? Ich hatte eine Menge zu tun.
Eine Schwester mittleren Alters steckte ihren Kopf durch die Tür. »Wie geht's uns denn?«
»Oh! Einigen von uns geht's schon etwas besser. Wissen Sie, wann Doktor Herschel wieder kommt?«
»Voraussichtlich gegen sieben.« Die Schwester kam ins Zimmer und fühlte meinen Puls. Merke: Wenn es nichts weiter zu tun gibt, prüfe stets, ob des Patienten Herz noch schlägt. »Nun, wer sagt's denn! Wir sind ja schon viel kräftiger! Macht uns die Schulter sehr zu schaffen?«
Ich sah sie übellaunig an. Uns! »Mir nicht. Aber ich weiß nicht, wie's den anderen geht.« Ich wollte mich nicht mit irgendeinem Beruhigungsmittel voll pumpen lassen. In Wirklichkeit hatte ich ziemliche Schmerzen.
Nachdem sie gegangen war, griff ich erneut zum Telefon, um bei der Pole-StarLinie nach Bledsoe zu fragen. Ich erfuhr, dass er sich an Bord der »Lucella« befand. Dort konnte er telefonisch erreicht werden. Man gab mir die Nummer und erklärte mir, wie ich sie über die Vermittlung erreichen konnte. Es war eine komplizierte Angelegenheit; vielleicht sollte ich mit den Kosten lieber meinen Büroanschluss belasten.
Während ich gerade der Vermittlung entsprechende Anweisungen erteilte, kam wieder die Schwester herein. »Aber, aber, das lassen wir hübsch bleiben, bis es uns der Onkel Doktor erlaubt.« Ich schenkte ihr keine Beachtung. »Es tut mir Leid, Miss Warshawski, aber wir müssen jegliche Aufregung von Ihnen fern halten.« Damit entwand sie mir den Hörer und beendete selbst mein Gespräch.
»Was fällt Ihnen ein? Ob ich telefonieren kann oder nicht, entscheide ich!
Schließlich bin ich ein Mensch und kein liegen gelassener Wäschesack.«
Sie sah mich streng an. »Hier im Krankenhaus gibt es gewisse Grundregeln. Eine davon lautet, dass bei Patienten mit Gehirnerschütterung und bei Unfallpatienten auf unbedingte Ruhe zu achten ist.«
Ich schäumte vor Wut und versuchte aus dem Bett zu springen, doch der verflixte Verband hinderte mich daran. »Was heißt hier Ruhe?«, schrie ich. »Wer regt mich denn auf und reißt mir das Telefon aus den Händen?«
Sie zog den Stecker aus der Wand und verschwand mit dem Apparat. Ich lag in meinem Bett und rang vor Zorn und Erschöpfung nach Luft. Eins war mir klar - ich konnte nicht auf Lotty warten. Ich setzte mich auf und untersuchte die Drähte, die meine Schulter in der richtigen Lage hielten. Ich betastete sie vorsichtig - der Gips war hart und fest. Selbst wenn etwas gebrochen war, viel passieren konnte meiner Meinung nach nicht. Es gab also keinen Grund, nicht nach Hause zu gehen, wenn ich ein bisschen aufpasste.
Mit der rechten Hand entfernte ich die Drähte. Die linke Schulter sackte auf die Kissen. Vor Schmerzen liefen mir Tränen über die Backen. Endlich gelang es mir, den linken Arm wieder nach vorne zu holen. Ich war so schrecklich hilflos! Einen Augenblick war ich versucht, aufzugeben. Ich schloss die Augen und ruhte mich etwa eine Viertelstunde aus. Dann fiel's mir ein: Eine Schlinge für den Arm war die Lösung! Ich sah mich suchend im Zimmer um und entdeckte schließlich im untersten Nachttischfach ein weißes Tuch, das ich unter größter Anstrengung aufs Bett zog. Ich nahm einen Zipfel zwischen die Zähne, schlang mir den anderen um den Hals und fabrizierte so eine ganz passable Ersatzschlinge. Taumelnd verließ ich das Bett, darauf bedacht, meine linke Schulter so wenig wie möglich zu bewegen, und öffnete die schmalen Schränkchen neben der Tür. Im zweiten fand ich meine Kleider, aber die schwarze Hose war an den Knien zerrissen und die Jacke ganz steif von geronnenem Blut. Mist. Einer meiner schönsten Hosenanzüge! Ich versuchte, mir die Hose anzuziehen - auf Unterwäsche hatte ich verzichtet -, als Lotty hereinplatzte.
»Wie schön, dass es dir wieder besser geht, meine Liebe«, meinte sie trocken.
»Ich gehe nach Hause. Die Schwester macht mich rasend!«
Lottys Gesicht verzog sich zu einem ironischen Lächeln. Sie fasste mich am rechten Ellenbogen und führte mich wieder zum Bett. »Vic, sei nicht so ungeduldig. Du hast eine Schultergelenkluxation, und die Muskeln dürfen nicht unnötig belastet werden. Außerdem hast du eine böse Schnittwunde am
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