Dear Germany - Dear Germany - Life without a top sheet
Saures eine so süße Reaktion hervorrufen konnte.
Ich dagegen war froh, dass meine Mutter sich nicht in Schwarzwälder Kirschtorte verliebt hatte. Denn dies wäre durchaus möglich gewesen. Schließlich ist eine ganz wunderbare Tradition, die ich in Deutschland entdeckt habe, die Kaffee-und-Kuchen-Zeit am Nachmittag. Allen meinen amerikanischen Freunden, die zum ersten Mal nach Deutschland kommen, empfehle ich, in eine der zahlreichen Konditoreien zu ge-hen und sich die kunstvollen und verlockenden Leckereien wie Obst- und Sahnetorten, Schokoladenkuchen und anderes Backwerk in den Auslagen wenigstens anzuschauen.
Wenn meine Mutter zu Besuch ist, kann sie sich an der großen Auswahl gar nicht sattsehen. Am liebsten würde sie von jedem Kuchen ein Stück probieren, um zu erfahren, ob sie auch tatsächlich alle so gut schmecken, wie sie aussehen. Da das nicht geht, fällt es ihr immer schwer, sich von dem Anblick loszureißen. Das kann vor allem dann peinlich werden, wenn hinter uns andere Kunden stehen und darauf warten, endlich dranzukommen.
»Mom, kannst du dich bitte entscheiden? Sag mir einfach, was du möchtest, und ich bestelle es bei der Verkäuferin.«
»Carol, frag die Verkäuferin doch mal, ob dieser Kuchen hier mit Sahne oder mit Frischkäse gefüllt ist und was das für ein Boden ist.«
»Die Verkäuferin sagt, der ist mit Quark gefüllt.«
»Oh, das ist doch das Zeug, das ich schon ein paarmal bei dir im Kühlschrank gesehen habe, nicht? Das nimmt man auch für Kuchen? Kannst du sie fragen, was das für Beeren sind?«
»Die schmecken ziemlich sauer, Mom. Ich weiß leider nicht, wie sie auf Englisch heißen.«
»Hm, vielleicht sollte ich dann doch lieber einen anderen nehmen.«
»Mom, die Leute warten.«
»Kannst du sie mal fragen, ob die Torte da Alkohol enthält? Die Deutschen sind doch dafür bekannt, dass sie gerne mitAlkohol backen, und dann würde ich lieber einen anderen Kuchen nehmen.«
»Mom, da ist kein Alkohol drin.«
»Hm, der hier sieht auch sehr lecker aus, aber der ist bestimmt sehr mächtig.«
»Das ist ein Frankfurter Kranz, Mom. Mein Lieblingskuchen. Mit einer leichten Buttercremefüllung. Warum nimmst du nicht einfach davon ein Stück?«
»Hm, ich weiß nicht. Buttercreme? Und was ist das für einer da hinten? Ein guter deutscher Apfelkuchen?«
Ich bin mir zwar nicht sicher, was man genau unter einem »guten deutschen Apfelkuchen« versteht, aber dafür kann ich versichern, dass man den German Chocolate Cake , den es in Amerika vielerorts gibt, hierzulande vergeblich sucht.
Ein großer Unterschied zwischen Amerika und Deutschland ist, dass die hiesigen Kuchen nicht so süß sind. Sie ähneln nicht einmal im Entferntesten den unter einer dicken Zuckerglasur begrabenen Kalorienbomben, die es in amerikanischen Läden zu kaufen gibt. Dazu kommt, dass viele Amerikaner ihre Glasur nicht selbst anrühren, sondern aus einer Dose auf den Kuchen spritzen. Deutsche Hobbybäcker würden beim Anblick dieser klebrigen Zuckerpampe wahrscheinlich weglaufen. Da hier das Hauptkriterium nicht die Süße des Kuchens, sondern vielmehr der Geschmack ist, wird überwiegend auf künstliche Zutaten verzichtet – es sei denn, es muss mal schnell gehen, und man greift zur Fertigbackmischung. Die Glasur ist oft noch selbst gemacht, und außerdem gibt es viele Kuchensorten, die ganz ohne Zucker-Schnickschnack auskommen und trotzdem verführerisch aussehen.
Ein weiterer Vorteil der eleganten Konditoreien ist, dass man sich den Kuchen auch zum Mitnehmen kaufen kann. Kein leichtes Unterfangen für das Personal, denn es ist weitaus schwieriger, ein Stück Sahnetorte einzupacken als einen Hamburger. Doch die Deutschen haben ein ausgeklügeltesSystem entwickelt: Wenn die Verkäuferin weiß, wie viele Stücke es von welchen Kuchen sein dürfen, drapiert sie diese ordentlich nebeneinander auf einem hübschen Papptablett. Zwischen die Kuchenstücke werden kleine Folien gelegt, damit hinterher an der Zitronentorte keine Schokoladencreme klebt. Dann schlägt sie das Ganze in Papier ein, damit es gut zu transportieren ist. Ich musste mich erst daran gewöhnen, dass ich als erstes immer gefragt wurde: »Wie viel Stücke dürfen es denn sein?« In einer amerikanischen bakery kann man nämlich meistens nur einen ganzen Kuchen kaufen.
Was mich an deutschen Kuchentheken allerdings irritiert, sind die Bienen und Wespen, die im Sommer immer mit von der Partie sind. In Deutschland gibt es praktisch an jeder Ecke eine
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