Dear Germany - Dear Germany - Life without a top sheet
Bäckerei, und eine lag genau gegenüber unserer damaligen Wohnung in der Kölner Innenstadt.
An einem schönen Sommermorgen schlenderte ich dorthin, um Brötchen zu holen. Doch an diesem Tag wollte ich meinen Augen nicht trauen: Hinter dem Schaufenster krabbelten Dutzende Wespen auf den süßen Teilchen herum und naschten eifrig, bevor sie weiterschwirrten. Als ein Kunde ein Teilchen haben wollte, griff die Verkäuferin mit der bloßen Hand in die Vitrine und holte das Gewünschte heraus. Ich dachte: »Hoffentlich hat sich keine Wespe darin verkrochen und wartet darauf, beim ersten Bissen zuzustechen!«
Während ich zutiefst schockiert darüber war, dass ein derartiger Killerwespenbefall offenbar nicht gegen die ansonsten peniblen gesetzlichen Hygienebestimmungen verstieß, schien dies alle anderen kaltzulassen. Noch immer kann ich nichts in einer wespenverseuchten Bäckerei kaufen, obwohl alle anderen Kunden immer so tun, als wäre das normal.
Die deutsche Kaffee-und-Kuchen-Tradition lernte ich übrigens schon bei meinem allerersten Aufenthalt kennen. Peter, der damals lediglich mein Chef war, und ich waren einesNachmittags bei einem deutschen Kollegen zum Kaffee eingeladen. Ich hatte mit Fertigkuchen und einem Becher Kaffee gerechnet, aber als wir dort eintrafen, fielen mir beim Anblick der Kaffeetafel beinahe die Augen aus dem Kopf. Der Tisch war festlich gedeckt: Ich sah eine hübsche Stofftischdecke, Kerzen und ein edles Kaffeeservice. Kleine silberne Gabeln und Löffel ergänzten das elegante Bild. In der Mitte standen mehrere Kuchen, und zwischen all den Köstlichkeiten gab es noch einen riesigen Berg Schlagsahne in einer großen Glasschüssel. Es wurde auch kein Instantkaffee im Becher serviert, sondern frisch gebrühter Bohnenkaffee in feinem Porzellan. Und das alles nicht für eine erlesene Kaffeegesellschaft, sondern nur für uns vier. Es wirkte unheimlich kultiviert. Wir verbrachten ein paar gemütliche Stunden an dem opulenten Kaffeetisch und taten dabei nichts anderes, als Kuchen zu essen und miteinander zu plaudern. Im Hintergrund lief weder ein Footballspiel in der Glotze, noch drängten wichtige Termine oder unaufschiebbare Besorgungen.
Was ich schnell lernte: Wenn man in Deutschland zum Kaffee eingeladen ist, gebietet es die Höflichkeit, der Gastgeberin für ihre Mühe Blumen oder ein kleines Geschenk mitzubringen, und pünktlich zu sein, fast wie bei einem formellen Dinner. Amerikaner kennen diese Gepflogenheiten oft nicht und treten daher schon mal ins Fettnäpfchen. Es gehört sich außerdem zu warten, bis alle am Tisch sitzen, bevor man sich bedient.
In Amerika geht es lockerer zu, weil es sich dort oft nicht um eine explizite Einladung handelt. Man schaut einfach spontan auf einen Kaffee vorbei. Das kommt hier zwar auch vor, aber eine Einladung zum Kaffee kommt normalerweise einer Art deutscher Version der englischen Teestunde gleich. Da geht es schon deutlich förmlicher zu als bei der amerikanischen Cookies-and-Milk- Variante.
Noch eine Faustregel habe ich entdeckt: Wenn in Deutschland nachmittags Verwandte oder Freunde zu Besuch kommen, nimmt man sich Zeit für die Gäste. Meistens treffen sich Männer, Frauen und Kinder zum gemütlichen Plausch. Oft macht man nach dem Kaffee noch einen gemeinsamen Spaziergang. Wahrscheinlich gibt es genau dafür in Deutschland so viele Wälder mit Wanderwegen, die sonntags auch immer entsprechend gut besucht sind. Auf diese Weise kann man sich nach der Herumsitzerei und dem üppigen Essen etwas Bewegung an der frischen Luft verschaffen.
Genau aus diesem Grund bestand mein Mann nach einem ausgiebigen Mittagessen bei meinen Eltern in Minnesota darauf, mitten im tiefsten Winter bei minus achtzehn Grad einen Spaziergang zu machen. Man muss nicht erst erwähnen, dass außer uns keine Menschenseele zu Fuß unterwegs war. Und die wenigen Autofahrer, die an uns vorbeifuhren, sahen uns an, als kämen wir von einem anderen Planeten.
Wenn ich heute mein Heimatland besuche, fällt mir auf, wie viel die Amerikaner essen und wie wenig sie sich gleichzeitig bewegen. Selbst wenn man zur Tankstelle fährt, springen einem dort Donuts oder Softdrinks im XXL-Wegwerfbecher ins Auge. Sehr verlockend, aber immer irgendwie zu viel. Und ständig trifft man auf Menschen, die etwas zu essen oder zu trinken in der Hand halten, als ob zu Hause der Kühlschrank leer wäre. Essen ist allgegenwärtig: Überall wird einem Nahrung angeboten – fast als stünde die nächste
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