Decker & Lazarus 07 - Weder Tag noch Stunde
Menge Schmuck und Make-up. Sie sprach auf Yalom ein, und der alte Mann drehte sich zu ihnen um.
»Yossie ist unten in der Bursa«, berichtete Yalom auf englisch. »Das gefällt ihm, alten Mann rauf und runter gehen lassen, dem Mamser.«
Decker machte Rina ein amüsiertes Zeichen, daß sie nicht zu übersetzen bräuchte.
Die Bursa war ein nach Norden hin von einer Glaswand abgeschlossener, offener Raum, der fast das gesamte Stockwerk einnahm. Schwarze Tische in Picknickgröße standen zu zahllosen Reihen aufgestellt, die Tischplatten mit Hunderten von Papierquadraten in schwarzen Lederhaltern übersät. Außerdem standen und lagen dort Dutzende von Waagen, Lupen und Pinzetten. Stühle waren zu beiden Seiten der Tische aufgereiht. Der Raum war voller Menschen, aber es gab genügend Platz, um zwischen den Tischreihen durchzugehen. Der gläsernen Wand gegenüber gab es eine Reihe von Schaltern, die zum Teil mit OFFIZIELLE WAAGE überschrieben waren. Oberhalb der Schalter schien es eine Art Galerie – vielleicht eine Lounge – hinter Rauchglas zu geben. Ein nettes Plätzchen für einen Drink oder um fernzusehen, ohne das Geschehen unten aus den Augen lassen zu müssen.
Von der Decke hingen Fernsehmonitore, über die ganze Reihen von Zahlen übertragen wurden. Yalom sah, wie Decker auf die Bildschirme starrte.
Rina übersetzte seine Worte. »Das sind Pager-Nummern. Wenn jemand etwas von dir will, erscheint deine Nummer oben auf dem Monitor.«
Sie wandte den Blick ab und betrachtete die weite offene Fläche. So viele Menschen – die saßen, standen, herumliefen, von einem Tisch zum anderen schlenderten wie bei einer Cocktail Party. Es herrschte eine spürbare Vertrautheit. Man lächelte, grüßte, unterhielt sich freundschaftlich. Und natürlich fühlte man einfach, daß hier Geschäfte gemacht wurden. Jeden einzelnen Moment hielten wahrscheinlich hundert Juweliere gleichzeitig Lupen über Steine.
Und was für Steine! Diamanten! Tausende davon! Der Wert mußte so schwindelerregend sein, daß man besser gar nicht erst darüber nachdachte. Ganze Haufen davon ergossen sich achtlos über irgendwelche Ablagen und wurden ganz selbstverständlich von einem zum anderen weitergereicht. Wie einfach es wäre, einen davon einzustecken. Aber niemand tat es. Was für ein ungeheures Vertrauen!
Rina lachte plötzlich still in sich hinein über die eigene Naivität.
Was hier verhinderte, daß etwas gestohlen wurde, war nicht Vertrauen, sondern all die Sicherheitsmaßnahmen. Viele, viele Sicherheitsmaßnahmen – unaufdringlich, aber stets präsent. Sie traf Deckers Blick. »Das ist etwas anderes, nicht wahr? Schon ein bißchen wie die normale Börse, aber ohne die Anzüge und Krawatten.«
Decker nickte. Das war gut beobachtet. Die Leute hier unterschieden sich nur wenig voneinander. Die meisten waren Männer und alle lässig gekleidet – dunkle Hosen, weiße Hemden, keine Krawatten. Bis auf die eine oder andere auffallend gekleidete Frau sahen alle gleich aus. Selbst die Religiösen waren nicht mehr herauszukennen, wenn sie erst mal ihre langen schwarzen Mäntel abgelegt hatten.
Sein Blick glitt zu den Tischen hinüber. Dutzende von Männern, die einander gegenüber saßen und Aktenkoffer und Fotografentaschen voller kleiner Päckchen aus gefaltetem, blauem Seidenpapier öffneten. Die Koffer hingen an Ketten, die um die Taillen der Verkäufer befestigt waren. Der Lärmpegel war überraschend erträglich. Man konnte leicht ein Gespräch mithören. Zu schade, daß Decker nichts davon verstehen konnte. Aber er konnte gut Körpersprache lesen. Er erkannte auf den ersten Blick, wer ein Geschäft machte und wer nicht.
Rina sah mit großen Augen um sich. Der alte Mann sah ihr ins Gesicht, lächelte und sagte ihr etwas ins Ohr.
»Was war das?« fragte Decker.
Rina kam nahe heran. »Er hat gesagt, die Werte hier im Raum würden ausreichen, um ganz Israel zu kaufen.«
Decker schob sich näher heran, sah, wie sich das Sonnenlicht auf den Tischplatten brach und aufblitzte. Steine lagen über die weißen Papierunterlagen verstreut. Ein junger Mann öffnete einen Karton, der mit diesem geheimnisvollen blauen Seidenpapier vollgestopft war. Er wickelte eines der Päckchen aus. Ein herzförmiger Edelstein zwinkerte Decker kokett entgegen.
Yalom merkte, wie sie staunten, und sagte: »Wollen Sie näher sehen? Kommen Sie.« Er ging zu einem Verkäufer und tippte ihm auf die Schulter. Der Mann sah auf, dann legte er etwas in Yaloms Hand.
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