Decker & Lazarus 07 - Weder Tag noch Stunde
daß er irgendwann überflüssig sein würde. Wer lebenslange, bedingungslose Ergebenheit will, sollte sich einen Hund kaufen.
Ach, hör schon auf zu brüten, rief sie sich selbst zur Ordnung. Freu dich an deinem Baby und deinen Söhnen, solange sie noch zu Hause sind.
Wenn es nur eine Möglichkeit gäbe, ihre Neigung zum Mutterdasein in einen Beruf umzuwandeln, den sie zu Hause ausüben konnte. Sie hatte schon über eine Kindertagesstätte nachgedacht, aber die Anforderungen und Versicherungsbestimmungen hatten das schier unmöglich gemacht. Solange Hannah da war, hätte es vielleicht ohnehin zu viele Konflikte gegeben. Es würde ihr vermutlich schwerfallen, ihr Spielzeug mit den täglichen Eindringlingen zu teilen. Hannah hatte es verdient, für ein paar Jahre die Prinzessin zu sein.
Rina stellte einen Oldie-Sender im Radio ein. Während sie den Rhythmus auf dem Lenkrad mitklopfte, stellte sich die weise Einsicht ein, daß sich schon irgendwas ergeben würde.
Das Gepäck der Kleins hätte ausgereicht, um die Familie ein Jahr lang in Afrika durchzubringen. Dem Himmel sei Dank, daß Rina daran gedacht hatte, die Gepäckseile fürs Verdeck mitzubringen. Honey zog ein hilfloses Gesicht.
»Ich wußte einfach nicht, was wir brauchen würden. Deshalb habe ich wohl zu viel eingepackt.«
Honey stopfte den nächsten Koffer auf die Ladefläche hinten im Volvo. »Wenn wir die nicht alle unterbringen, nehme ich ein paar von den Gepäckstücken und fahre mit dem Taxi hinter dir her.«
»Taxis sind teuer, Honey.« Rina wuchtete eine Kiste aufs Verdeck. »Ich glaube, wir schaffen es, wenn es euch nichts ausmacht, euch ein bißchen zusammenzuquetschen. Aber wir müssen alles gut befestigen. Den Kindersitz nehme ich nach vorne.«
»Was am einfachsten ist«, sagte Honey. »Mendie, hilf doch mal Rina mit den Koffern. Rina, laß ihn das machen. Er ist doch ein großer Junge.«
Mendel war dreizehn – träge und mißmutig. Rina winkte ab, während sie das letzte Gepäckstück auf dem Autodach verstaute. »Ich glaube, wir haben’s bald.« Sie musterte die unsichere Ladung. »Ich werde langsam fahren und hoffen, daß wir keine Strafe zahlen müssen.«
Honey sagte: »Ist dein Mann nicht bei der Polizei?«
Rina warf noch einen letzten prüfenden Blick auf den Kofferberg. »Es hat seine Vorzüge dazuzugehören, aber ich finde, man sollte seine Position nicht ausnutzen.« Sie lächelte den Kindern zu. »Ich hoffe, es macht euch nichts aus, euch eine Weile ein bißchen zusammenzudrängeln.«
Die Kinder blieben stumm. Es waren vier – im Alter von fünf bis fünfzehn. Zwei Jungen in Pajis, mit schwarzen Anzügen, weißen Hemden und einem großen, schwarzen Kippot, der den geschorenen Schädel bedeckte. Die beiden Mädchen hatten lange Zöpfe und trugen langärmelige Kleider mit hohem Kragen über blickdichten Strumpfhosen. Allesamt schwitzten sie unter der Last ihrer schweren Wintermäntel.
Rinas Augen wanderten voller Schuldgefühl über ihre Kleidung.
Vor zwei Jahren hatte sie einen radikalen Entschluß gefaßt. Sie hatte ihre Jungen aus der Schwarzhut-Jeschiwa Ohavei Torah herausgenommen und sie auf die neuorthodoxe Jeschiwa in Nord-Hollywood wechseln lassen. Dort nahm die weltliche Ausbildung einen wichtigen Platz im Stundenplan ein, und Universität war kein Schimpfwort. Die Jungen waren bereit, den Versuch zu machen, da sie ohnehin akademisch interessiert waren. Aber wann immer Rina während der Übergangsphase die Augen schloß, sah sie Yitzchaks Gesicht. Kein strenges Gesicht – Yitzy war ein sanfter Mann gewesen und ein Herr. Aber es war ein trauriges Gesicht.
Seit ihrer ersten Ehe hatte sie sich verwandelt, weg von der abgeschotteten, schwarzbehüteten religiösen Orthodoxie hin zur modernen, mit der sie aufgewachsen war. Natürlich bedeckte sie nach wie vor ihr Haar, wenn sie das Haus verließ, aber sie tat es auf eine modernere Weise. Heute trug sie eine Strickmütze auf dem Kopf, die langen Haare waren geflochten und zu einem Knoten gebunden. Aber die Kopfbedeckung verhüllte nicht ihr ganzes natürliches Haar. Die Mütze war nicht so koscher wie der Schejtel, den sie früher immer getragen hatte.
Ihr Blick huschte zu Honey und ihrem Schejtel. Es war eine gute Perücke – dick und mehrfarbig und leicht gewellt. Sah sehr natürlich aus. Und sie bedeckte jeden einzelnen Zentimeter ihres Haares.
Genau wie die, die Rina getragen hatte.
Beide Frauen trugen langärmelige Pullover und Röcke bis übers Knie. Rina
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