Decker & Lazarus 07 - Weder Tag noch Stunde
dem Fernglas … Zielfernrohr … der schießt.«
»Scharfschütze?« sagte Decker.
»Ja, Scharfschütze.« Er zeigte auf Decker. »Mit dem Zielfernrohr schieße ich aus fünf Kilometer Entfernung einen Nagel in die Wand. Ich habe an vier Kriegen teilgenommen – sechsundfünfzig, siebenundsechzig, dreiundsiebzig und einundachtzig. Ich habe sechsundfünfzig drei Jahre gedient und siebenundsechzig drei Jahre. Siebenundsechzig war ich auf den Golanhöhen. Die Syrer schießen auf uns runter, picken uns einzeln raus wie bei einem Videospiel. Wir schicken vierzehn Panzer rauf, einer kommt zurück. Ich sage maspeek! Genug! Ich krieche auf meinen Händen und Knien bis zur Bergspitze, klettere auf einen Baum, und das nächste, was die Mistkerle merken, ist, daß ich sie rauspicke.«
Er linste durch ein imaginäres Zielfernrohr und tat so, als würde er den Abzug ziehen. »Paff … paff … paff.« Er pustete sich auf den Finger. »Wenn mich irgend jemand anscheißen will, kann ich auf mich selber aufpassen.«
Decker blieb vorsichtig. »Darf ich Ihre Waffe entladen?«
Er rieb sich die Stirn. »Klar. Nehmen Sie den Clip raus. Mir egal.«
Decker tat genau das und legte beides auf den Tisch. »War Arik auch Scharfschütze beim Militär?«
»Arik saß im Panzer. Dalia machte Büroarbeit.« Auf seinen Lippen bildete sich ein kleines Lächeln. »Sie ordnete Unterlagen ein. Nichts Wichtiges, aber sie war stolz, die Uniform zu tragen.« Seine Unterlippe zitterte. »Und so kamen Arik und Dalia nach Amerika, um ein schönes Leben zu führen.« Gold schlug die Hände aneinander. »Paff, vorbei. Was ist Gott doch für ein Mistkerl!«
Marge beobachtete ihn genau. »Und Sie haben keine Ahnung, wer Arik und Dalia das angetan haben könnte?«
»Keine Ahnung.« Gold schwankte im Sitzen und torkelte sich auf Marge ein. Er zeigte auf sie. »Sie wissen, daß Sie beim Militär wären, wenn Sie in Israel leben würden. In der israelischen Armee nehmen sie auch Frauen. Nicht wie in Amerika.«
Marge nickte.
»Ich wette, Sie würden einen guten Soldaten abgeben.« Gold winkelte den Oberarm an. »Sie sehen stark aus.«
Marge lächelte.
Decker sagte: »Wollen Sie mir sagen, was Sie Freitag nachmittag gegen halb drei gemacht haben?«
»Das habe ich Ihnen schon gesagt. Ich war in meinem Büro, mit Kunden.«
»Sie haben mir keinen Namen dazu gesagt.«
»Nein, das habe ich nicht. Mein Geschäft ist vertraulich, zum Schutz meiner Kunden. Sie wollen etwas wissen, holen Sie sich Papiere vom Richter. Dann habe ich keine andere Wahl. Aber wenn Sie wollen, mache ich einen Lügentest für Sie. Das schadet nicht meinem Geschäft.«
»Vielleicht werden wir einen Lügendetektortest machen«, stimmte Decker bei. »Soviel ich weiß, hatten Sie ein enges Verhältnis zu Ariks jüngerem Sohn, Dov.«
Gold rieb sich das Gesicht. »Sie haben die Jungen nicht gefunden.«
»Bisher nicht«, sagte Marge.
Decker stand auf und setzte sich neben Gold. Der noch vor wenigen Tagen so muskulös und kräftig aussehende Körper des Israeli wirkte jetzt schwammig und schlapp. »Irgendeine Ahnung, wo sie sein könnten, Mr. Gold?«
»Woher soll ich das wissen?«
Marge bohrte nach: »Haben sie Sie nicht angerufen und um Hilfe gebeten?«
Gold flüsterte: »Nein, sie haben mich nicht angerufen.«
Decker sagte: »War es nicht so, daß Dov und sein Vater sich häufig gestritten haben?«
Gold starrte ihn an. »Sie glauben, sie haben ihren Eltern etwas getan? Sie irren sich. Gojische mischugas.«
Verrückte Christen, übersetzte Decker im stillen. Er machte sich nicht die Mühe, Gold mitzuteilen, daß es in West-L. A. vor Jahren einen Fall gegeben hatte, bei dem zwei Söhne angeklagt worden waren, ihre Eltern umgebracht zu haben, gleich nachdem sie vom Gottesdienst zu Jom Kippur nach Hause gekommen waren.
»Sicher, sie streiten sich mit Arik«, räumte Gold ein. »Aber sie bringen ihn nicht um. Ganz sicher tun sie ihrer Mutter nichts. Sie würden nie, niemals, ihrer Mutter etwas antun. Nein, das ist nicht der Grund, warum sie verschwunden sind. Sie sind verschwunden, weil sie Angst haben.«
»Wer hat ihnen angst gemacht?« fragte Marge.
»Wenn ich die Antwort darauf wüßte, wären Sie die ersten, denen ich es sagen würde.« Gold versuchte aus seinem leeren Glas zu trinken. »Ich weiß nicht, wer ihnen angst gemacht hat. Wenn ich es weiß, töte ich ihn. Problem erledigt.«
Decker und Marge tauschten einen Blick. Decker sagte: »Arik ist viel gereist, nicht
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