Decker & Lazarus 07 - Weder Tag noch Stunde
genommen. Ich dachte, er fährt nach Israel oder Antwerpen. Jetzt glaube ich, er hat mit meinem Geld Safari-Urlaub gemacht.«
Decker setzte hinzu: »Nur daß seine Frau ihn nicht begleitet hat.«
»Das hat nichts zu bedeuten«, knurrte Gold. »Er hat sie oft allein gelassen.«
»Hatte Arik Yalom eine Affäre, Mr. Gold?«
Gold zögerte und erwiderte dann: »Dalia vermutete so etwas. Ich sagte Ihnen ja, daß wir alte Freunde waren.«
Decker tippte die Fingerspitzen gegeneinander. »Hat sie je einen Namen erwähnt?«
»Nein, Dalia ist eine Dame.«
Marge probierte es noch einmal: »Und Sie wissen nicht, wo Ariks Söhne sind?«
»Nein, Detective, ich weiß es nicht.« Gold schürzte die Lippen. »Vielleicht mache ich es Ihnen einfach. Vielleicht finde ich sie für Sie.«
Decker sah ihn unverwandt an. »Das ist Sache der Polizei, Mr. Gold, halten Sie sich da raus.«
»Ach, aber die Jungen sind meine Sache.« Golds Lächeln bekam etwas Geheimnisvolles. »Ich bin ehrlich, wenn ich sage, ich weiß nicht, wo die Jungen sind. Aber soviel sage ich Ihnen«, er nahm seine Halbautomatik auf und schob den Patronenclip zurück ins Magazin, »wenn ich sie finde, bin ich vorbereitet.«
19
In all den Jahren, die Rina in der Ohavei Torah gelebt hatte, hatte sie die Bejss Midrasch noch nie leer von Studierenden gesehen. Als junge Witwe hatte sie viele schlaflose Nächte verbracht, in denen sie für die Seele ihres von ihr gegangenen Mannes ebenso betete wie um ein wenig Seelenfrieden für sich selbst. Wenn das Gebet nichts half – wie es in der ersten Zeit häufiger vorgekommen war –, war sie aus dem Bett und in die kalte Nachtluft hinausgestürmt, um ziellos herumzuwandern und den Kopf frei zu kriegen. In vielen Fällen hatten sie ihre Rundgänge zum Studierraum hinübergeführt. Dort hatte sie immer einige dem Studium wahrhaft Ergebene vorgefunden, die über eines der religiösen Werke gebeugt saßen, die die Wände ringsum füllten. Frauen war der Eintritt zwar nicht untersagt, aber Rina hatte stets das Gefühl gehabt, als gäbe es da ein unausgesprochenes Verbot. Sie hatte die Bejss Midrasch nie selber betreten, um zu lernen – nicht einmal abends zur Essenszeit, wenn es hier so still und friedlich war wie jetzt auch.
Ihre Söhne kannten keine solchen Bedenken. Mit den Koffern in der Hand marschierten sie hinein, jeder auf einen anderen Bücherschrank zu. Sammy ging zu den Büchern der Mischna Torah von Rambam (Rabbi Mosche Ben Maimon oder Maimonides). Yonkie holte sich sofort die Shas-Bände, den Talmud.
Rina sah ihren Söhnen vom Eingang her zu. Sammy war eigentlich eher groß als kräftig, aber langsam begannen seine Schultern breiter zu werden, und die Muskulatur kräftigte sich. Rina fand ihn völlig objektiv gesehen sehr attraktiv. Sein ungewöhnlich klares Jungengesicht mit dem ersten Pfirsichflaum wurde von einem sandfarbenen Haarschopf gekrönt. Die Augen waren dunkel und aufmerksam, und obwohl die Zähne noch in einer Klammer saßen, konnte sie schon den Erwachsenen im Gesicht des Teenagers erkennen.
Yonkie – oder besser, Jake – war noch ein Junge. Bei ihm hatte der Wachstumsschub gerade eingesetzt, aber Arme und Beine waren nach wie vor dünn und knochig. Er hatte einen babyweichen Pfirsichteint; in den blauen Augen funkelte es mutwillig.
Beide Jungen trugen langärmelige weiße Hemden, die ihnen locker über die dunklen Hosen fielen. Die Füße steckten in hohen Turnschuhen. Keiner von beiden trug einen Hut, was sie sofort als Besucher im Gegensatz zu hier wohnenden Schülern kennzeichnete.
Rina fühlte jemanden hinter sich. Sie drehte sich um und sah Rabbi Schulman etwa fünfzehn Meter entfernt den Gang entlang kommen. Er ging allein – eine Seltenheit – und wollte zur Bejss Midrasch. Der Moment konnte nicht besser sein. Rina drückte ihr Rückgrat durch und schlug automatisch die Augen nieder. Manche Gewohnheiten legte man einfach nie ab.
In seinen Augen blitzte es, als er ihr zunickte und den Studiensaal betrat. Sie nickte zurück. Es war nicht etwa so, daß er sie nicht beachtete. Er wollte sie nur nicht durch zu viel Aufmerksamkeit beschämen. Die Schüler im Raum erhoben sich, sobald der alte Mann eintrat, und der große Rabbi bedeutete ihnen, sich wieder zu setzen. Er winkte erst Sammy, dann Yonkie mit dem Zeigefinger zu sich. Die beiden Jungen kamen gesenkten Kopfes, die Hände an der Hosennaht zu ihm.
Schulman strich sich den langen, weißen Bart und begrüßte sie mit einem warmen
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