Decker & Lazarus 09 - Totengebet
tief durch. »Danke.« Dann zögerte sie erneut. »Das Kompliment geb ich zurück.«
Oliver strich sich das Haar aus der Stirn. »Danke.«
Er begann erneut zu pfeifen. Diesmal erkannte Marge die Melodie. Es war der Refrain von »Stayin’ Alive«. Die Pfiffe entwichen seinen gespitzten Lippen schrill und abgehackt immer wieder in derselben, variationslosen Reihenfolge.
Nach fünf Minuten sagte Marge: »Könntest du mit dem Gezwitscher aufhören?«
Oliver verstummte abrupt. »Was?«
»Dein Gepfeife klingt wie der Lockruf eines paarungswilligen Rotkehlchenhahns. Bin schon drauf gefasst, dass jeden Moment ein völlig kirres Rotkehlchenweibchen in den Wagen flattert und mit den Schwanzfedern wippt.«
»Dunn, mit dem Gerede machst du mich ganz heiß!«
»Ich glaub es einfach nicht. Du tust es schon wieder.«
»Lady, diesmal hast du angefangen mit deinem Geschwätz über geile Rotkehlchen und wippende Schwanzfedern. Was soll ein alter Bock da denn denken?«
Marge wollte etwas sagen, aber dann lachte sie. Sie hatte gut pariert, ihren Punkt gemacht. Jedes weitere Wort war überflüssig.
Der Industriepark erstreckte sich über mehrere Blocks, lag in einem großen Rund gepflegter Rasenflächen und einem Baumgürtel aus zahlreichen Weiden- und Ulmenarten. Die Gewerbegebäude waren so hoch wie der Baumbestand, aus Backstein und mit grell pinkfarbenen fleißigen Lieschen, zart rosafarbenen Azaleen und dunkelgrünen Farnen geschmückt, was der ganzen Anlage ein einheitliches Bild gab. In der Mitte einer Rasenfläche ragte ein Felsgebilde mit Wasserfall auf, der sich in einen Goldfischteich ergoss.
Der Haupteingang der Firma Fisher/Tyne lag dem Wasserspiel gegenüber. Es war ein zweistöckiges Gebäude mit großer, zweiteiliger Eingangstür. Dahinter empfing sie die Lobby mit weißem Marmor, Ledercouchen, Glastischen, Chromlampen aus Designerhand und übergroßen, ungerahmten schrillen, hypermodernen Ölbildern. Zwei steril verpackte blonde, blauäugige Empfangsdamen mit Kopfhörern saßen hinter einem Glasfenster. Marge sah ihren Partner an, um festzustellen, wie sehr er sich durch den Anblick der beiden ablenken ließ. Doch sein Blick verriet nichts.
Er zückte seine Polizeimarke und hielt sie einer der beiden Schönen im Glaskäfig vor die Nase. »Wir möchten zu Dr. Gordon Shockley.«
Die Schöne starrte auf die Marke und sagte dann in ein Mikrofon: »Es geht um Dr. Sparks, stimmt’s?«
Oliver steckte seine Marke ein. »Ist Dr. Shockley da, Madam?«
»Ich sehe mal nach.« Sie drückte auf mehrere Knöpfe, sagte etwas in das Mikrofon ihres Kopfhörers. Dann wandte sie sich wieder an Oliver. »Er kommt in fünf Minuten runter. Möchten Sie Kaffee?«
Oliver sah Marge an.
»Ich passe.«
»Vielleicht später«, erwiderte Oliver.
»Dann nehmen Sie doch bitte Platz.«
Marge setzte sich auf das Sofa, das die Behaglichkeit einer Parkbank ausströmte. Oliver folgte ihrem Beispiel. Die Lobby hatte mehrere Fenster, die alle zum Teich hin ausgerichtet waren.
»Hübsche Aussicht«, bemerkte Marge.
»Alles Plastik.« Oliver senkte die Stimme. »Oder meinst du die beiden im Käfig.«
»Das mit Plastik hast du gesagt.«
Er grinste. »Jedem Tierchen sein Plaisierchen, Dunn.«
Marge drehte sich zu ihm um. »Versuchst du mir nur zu imponieren oder bist du wirklich so ein Flachwichser?«
»Ich bin wirklich ein Flachwichser, Dunn. Gewöhn dich dran.«
Marge lachte, und Oliver stimmte ein. Einen Moment später trat ein Mann aus einer Tür mit der Aufschrift »Personal«. Er stellte sich mit wohltönender Stimme als Gordon Shockley vor und schüttelte zuerst Marge, dann Oliver die Hand.
Er war Mitte vierzig, circa einsfünfundachtzig und gut gebaut, mit lockigem, dunkelblondem, grau meliertem Haar, das bereits etwas schütter zu werden begann. Dunkelbraune Augen, Adlernase, dünne Lippen und die weiche, feucht glänzende Haut, die nur durch eine sehr sorgfältige Rasur zu Stande kommt, rundeten das Bild ab. Shockley trug einen Maßanzug aus marineblauem Wollstoff und hatte als Qualitätsmerkmal den letzten Knopf am Ärmel nicht geschlossen. Oliver betrachtete ihn voller Neid. Die italienische Herkunft des Kleidungsstücks war unverkennbar. Aus jedem Knopfloch schrie es geradezu: »Ich bin teuerissimo.«
»Hier entlang, bitte.« Shockley ging voraus. »Haben Sie uns gut gefunden? War die Wegbeschreibung in Ordnung?«
»Bestens«, erwiderte Marge.
Sie folgten Shockley durch die Tür mit der Aufschrift »Personal«
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