Decker & Lazarus 11 - Der wird Euch mit Feuer taufen
nicht fassen, dass Bob den armen Kerl einfach so abgeknallt hat. Gab es Auseinandersetzungen im Orden … war der Mann eine Bedrohung für ihn?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete Webster. »Meinen Sie, Bob würde gewalttätig, wenn er sich bedroht fühlt?«
»Bob war immer äußerst misstrauisch.« Sie lachte. »Kein Wunder. Schließlich tat er eine Menge illegaler Dinge. Da schaut man wahrscheinlich dauernd hinter sich. Zurück zu Bob und der Uni. Wie soll ich das ausdrücken?« Sie überlegte. »Bob hatte einige wirklich interessante Geistesblitze.«
»Sie meinen Visionen?«, fragte Martinez.
»Nein, nein, nein«, wehrte Europa ab. »Obwohl er bestimmt genug Drogentrips hinter sich hatte. Ich rede von mathematischen Geistesblitzen. Teillösungen für uralte Probleme – was in abstrakter Mathematik und Physik die Spreu vom Weizen trennt.«
»Ich kann Ihnen nicht folgen«, sagte Webster.
»Das ist schwer zu erklären«, meinte Europa. »Die wahren Genies haben oft diese erhellenden inneren Vorstellungen von mathematischen Lösungen – eine bildliche Darstellung, eine Grafik, ein Diagramm oder ein Objekt –, bevor sie mit den eigentlichen Berechnungen überhaupt beginnen. Einstein visualisierte zum Beispiel seine Relativitätstheorie. Er sah, wie sich der Raum in Anwesenheit dunkler Materie krümmt, er sah, wie sich die Zeit verzerrt und Objekte sich verkürzen. Sie alle – Euler, Fermat, Gauß, Bohr, Heisenberg, Hawking, die berühmten Feynman-Diagramme, die Riemannschen Summen, die die Grundlage für die Differentialgeometrie bilden. Die Großen scheinen diese unheimliche Fähigkeit zu haben, Bilder zu sehen, die Antworten auf mathematische Probleme geben. Natürlich brauchen sie dann die Zahlen, um den entsprechenden Beweis zu erbringen. Aber Zahlen sind selten der Ausgangspunkt. Als Einstein versuchte, seine Theorie den Zahlen anzupassen, unterlief ihm einer der größten Schnitzer seines Lebens.«
»Bob hatte also diese genialen geistigen Bilder?«, fragte Webster.
Europa lächelte. »Ich glaube, das Wort, das ich benutzte, war Blitze. Er hatte diese kurzen Geistesblitze, aber aus ihnen entwickelte sich nie etwas Bedeutendes, weil a) Lösungen Beharrlichkeit und Geduld und Arbeitsmoral erfordern, was Bob alles nicht besaß, und b) Mathematik nicht Bobs Stärke war. Klar, er konnte einer Gruppe von Ingenieurstudenten Differenzialrechnung beibringen. Aber man braucht mehr als Grundwissen, um ein brillanter Astrophysiker zu sein. Ich weiß nicht, ob Bob einfach faul war oder es ihm hier oben fehlte.« Sie tippte sich an die Stirn.
»Er wurde rausgeworfen?«, fragte Martinez.
»ja, aber nicht, weil er durchgerasselt ist. Er wurde von der Uni verwiesen, weil er Geld unterschlagen hat. Er hätte ins Gefängnis gehört. Aber weil er sagte, er würde keinen Aufstand machen, haben sie ihn gehen lassen.«
»Erzählen Sie«, bat Webster.
»Er saß in der Mensa an der Kasse. Wenn es während der Mittagszeit hektisch wurde, zahlten die Studenten oft mit einem Dollar, auch wenn es nur neunzig Cent kostete, und warteten nicht auf das Rückgeld. Bob tippte diese Verkäufe nicht ein und behielt einfach den Dollar. Außerdem klaute er Geld, indem er den Sachen auf den Tabletts im Kopf weitere hinzufügte. Er war gut in Kopfrechnen. Er nannte den Kunden immer die exakte Endsumme – inklusive Steuer und allem. Diese Verkäufe tippte er ebenfalls nicht ein. Er behielt das Geld und nahm das Wechselgeld aus seiner eigenen Tasche. Und er war clever dabei. Er tippte genug in die Kasse ein, damit es nicht auffiel. Trotzdem kam er so täglich auf fünfzig bis sechzig Dollar. Und das fünf Tage pro Woche. Rechnen Sie selbst.«
»Er muss eine Menge Kleingeld mit sich rumgeschleppt haben.«
»Nee. Wenn er Kleingeld brauchte, wechselte er in der Kasse einen Zwanziger. Die Abrechnung stimmte immer einwandfrei. Schließlich hat ihn eine wütende Freundin verpfiffen.« Sie schüttelte den Kopf. »Er schaffte es immer wieder, dass andere die Drecksarbeit für ihn machten.«
»Sie eingeschlossen?«, fragte Webster.
»Ich hab nicht für ihn geklaut, aber er hat mich zu Drogen überredet. Wir haben zusammen Trips geworfen. Ich war einsam, und wir vermissten beide meinen Vater.« Nachdenklich hielt sie inne. »Genau genommen, besaß Bob eine Menge von Dads schlechten Eigenschaften – er war egoistisch, großspurig, paranoid, scharfzüngig, besserwisserisch …«
»Ein pathologischer Lügner?«
»Tja, er hatte schon etwas
Weitere Kostenlose Bücher