Defcon One 01 - Angriff auf Amerika
deutete Franklin, Grant und Rove mit einer Geste an, noch nicht vorzugehen.
»Judy, wen immer Sie da in der Leitung haben. Ich hoffe für Sie, dass Sie mir keinen Scherzanrufer durchstellen.«
»Nein, Mr President. Die Telefonzentrale hat das gecheckt. Der Anruf kommt aus Afrika.«
»Afrika?«, fragte George T. Gilles verblüfft. »Wer in Afrika kann wissen, wer die Entführer der ISS sind? Ich werde Frank Harris von der CIA maßregeln, wenn seine Agenten sich plötzlich erdreisten, direkt im Weißen Haus anzurufen.«
»Mr President, es ist nicht die CIA. Ich habe den libyschen Staatspräsidenten am Telefon«, sagte die Sekretärin mit ernsthafter Stimme.
»Sie haben wen am Telefon?«
»Ich habe Muammar al Gaddafi in der Leitung. Er hat eine wichtige Nachricht für Sie.«
Drei endlos lange Sekunden starrte der Präsident den kleinen aufblinkenden Knopf auf der Telefonanlage an, dann gab er schließlich die Leitung frei. Seine Augen weiteten sich, als er die Stimme des Anrufers hörte. Die Mitarbeiter vom Nachrichtendienst in der Telefonzentrale hatten den Anruf korrekt zurückverfolgt. Am Apparat war tatsächlich der libysche Revolutionsführer, der zum ersten Mal in seinem Leben direkten Kontakt mit dem Oval Office aufnahm. Aufmerksam hörte George T. Gilles zu, was der ehemalige Staatsfeind Nummer Eins zu sagen hatte.
KAPITEL 85
27.04., 17.28 Uhr (Ortszeit)
Tripolis, Assaraya al-Hamra
A m äußeren Rand der Altstadt von Tripolis, auf den Grundmauern der ehemaligen phönizischen Stadt Oea, um deren Besitz einst Griechen, Ägypter und Römer gekämpft hatten, bevor die Beduinen mit ihrer nomadischen Lebensart aus den einst fruchtbaren Wüstentälern den Küstenstreifen zurückerobert hatten, lag das Wahrzeichen der Stadt, die Rote Burg.
Als Teil des Regierungssitzes diente Assaraya al-Hamra, so die landestypische Bezeichnung für den breiten und langgezogenen Komplex im Altstadtviertel, einigen Volksabgeordneten als Arbeitsstätte, von der aus die sogenannten fremdländischen Angelegenheiten geregelt wurden. Die meisten Politiker hatten jedoch längst den Heimweg angetreten, um in den engen Gassen der Medina für ein paar Dirhams einen mit Kardamon parfümierten Kaffee oder einen stark gesüßten Tee zu trinken. Jetzt, wo sich die Sonne in ihren letzten Stunden des Tages anschickte, der Millionenstadt den Rücken zu kehren, erblickte man nur noch vereinzelte Gestalten in den kleinen parkähnlichen Gärten, welche sich zwischen Kiefern, Eukalyptusbäumen, Tamarisken und anderen Sträuchern auf den ausgetretenen Wegen bewegten. Die Luft war geschwängert mit dem Duft von frittierten Kichererbsenbällchen, gebratenem Hammel- und Lammfleisch, sowie einer Vielzahl von Kräutern und Gewürzen, die in den zahlreichen kleinen Restaurants und Straßenküchen feilgeboten wurden.
In einem der oberen Räume der Assaraya al-Hamra stand der Revolutionsführer des Landes und blickte aus einem mit allerlei Ornamentschmuck verzierten Raum in den bewachten Vorgarten, in dem gerade eine Springmaus vor einer verirrten Sandrasselotter unter einem Oleanderbusch Reißaus nahm. Zwei Mauersegler erhoben sich in die Lüfte, und von irgendwo erklang der Ruf eines Militärs, der die Wachablösung kommandierte.
Seit zwei Minuten wartete Oberst Muammar al Gaddafi am Telefon auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten, der jetzt sicherlich höchst irritiert darüber nachdachte, ob er das Gespräch annehmen sollte oder nicht. Fast unbeweglich verharrte die Lichtgestalt der arabischen Welt vor dem geöffneten Fenster und griff ohne hinzusehen in eine kleine hölzerne Schale, in der einige Datteln lagen. Er wollte gerade das saftige und mehlige Fleisch der Frucht in seinen Mund schieben, als ihm die amerikanische Sekretärin mitteilte, der Präsident habe nun Zeit für ihn.
»Präsident Gilles hier«, meldete sich die gut fünftausend Meilen entfernte Stimme. »Ehrlich gesagt, überrascht mich Ihr Anruf ein wenig, da er zu einem Zeitpunkt kommt, der – sagen wir es einmal vorsichtig ausgedrückt – etwas ungelegen ist. Ich nehme an, Sie haben die Ereignisse verfolgt?«
»Ich sagte Ihrer Sekretärin bereits, dass ich möglicherweise Ihrem Land helfen kann«, antworte der Begründer der sozialistisch libysch-arabischen Volks-Dschamahirija mit deutlichem Akzent in der Stimme.
»Sie können uns helfen?«, fragte George T. Gilles, wobei er um einen möglichst neutralen Tonfall bemüht war, der seinem Gesprächspartner nicht das Gefühl
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