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Dein Blut auf meinen Lippen

Dein Blut auf meinen Lippen

Titel: Dein Blut auf meinen Lippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Gabe
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Warten hat sich gelohnt."
    Julia musste sich das Lachen verkneifen. Was der Vampir da von sich gab, waren so abgedroschene Klischees, dass es schon wieder komisch war.
    "Julia, das ist Graf Paris. Er ist von weit her gekommen, um dich kennenzulernen", sagte die Gräfin mit süßlicher Stimme.
    Julia erschrak und wurde rot. Das also war der Mann, der ihr geschrieben hatte.
    "Guten Abend, Graf", murmelte sie und verbeugte sich leicht.
    Der Graf zog erwartungsvoll die Brauen hoch und fragte: "Möchten Sie tanzen, Fräulein Julia?"
    "Es gibt nichts, was sie lieber täte", antwortete die Gräfin anstelle von Julia und schob sie auf den Grafen zu.
    Bevor Julia auch nur irgendetwas sagen konnte, zog der Graf sie auf die Tanzfläche, und sie fand sich mitten in einem Saltarello wieder - einem höfischen Tanz mit komplizierten Schrittfolgen und Drehungen. Der Graf legte eine Hand fest um Julias Taille, mit der anderen griff er nach ihrer linken Hand.
    "Ich habe schon lange nicht mehr getanzt", erklärte er. "Umso mehr werde ich es genießen."
    Julia lächelte verhalten und war sich ziemlich sicher, dass sie es kein bisschen genießen würde.
    Sie sollte recht behalten. Mit jedem Schritt wurde der Griff des Grafen fester und fordernder. Irgendwann bohrten sich seine Fingernägel durch die feine Spitze ihrer Robe. Obwohl sie sich äußerst unwohl fühlte, machte sie ein gleichmütiges Gesicht, denn sie war sich darüber im Klaren, dass alle im Saal sie beobachteten - ihre Mutter eingeschlossen.
    "Diese Musik erinnert mich an meine Kindheit in Bulgarien. Meine Mutter liebt den Klang der Panflöte über alles." Offensichtlich fühlte Graf Paris sich genötigt, höfliche Konversation zu machen. "Waren Sie schon einmal in Bulgarien?"
    "Nein, Graf, leider bin ich bislang über die Grenzen der Walachei kaum hinausgekommen", erwiderte Julia.
    Graf Paris strich mit der Hand über ihren Rücken. "Ich denke, das wird sich bald ändern."
    Julia drehte sich zu dem Solisten um, der die Panflöte spielte, und wünschte, ihre Blicke könnten ihn so irritieren, dass er aufhörte zu spielen und dieser schreckliche Tanz endlich endete. Aber das würde ihr nicht viel nützen, denn der Graf atmete so erregt, dass es nicht schwer war, seine Absichten zu erraten. Er würde wieder und wieder mit ihr tanzen, bis der Morgen graute.
    "Ihre Eltern haben mir gar nicht erzählt, wie schön Sie sind", murmelte Graf Paris, als er Julia herumwirbelte und wieder fest in die Arme schloss.
    Sie musste sich beherrschen, um keine verächtliche oder gelangweilte Grimasse zu ziehen. "Der Graf und die Gräfin Capulet neigen nicht zu Übertreibungen."
    Julia wagte nicht, ihrem Tanzpartner zu sagen, dass sie so gut wie nichts von ihm wusste, was nicht in seinem Brief gestanden hatte. Genauso wenig sprach sie darüber, dass Vampire durch das "Privileg" der Unsterblichkeit und die Ernährung mit Menschenblut zwar lange jung und stark blieben, aber nicht unbedingt attraktiv waren. Mit spitzem Kinn, Knollennase und Segelohren war Graf Paris das beste Beispiel dafür.
    Obwohl Julia solche Äußerlichkeiten nicht entgingen, war sie nicht so oberflächlich und flatterhaft wie viele ihrer Altersgenossinnen. Für sie war der Charakter eines Menschen wichtiger als sein Aussehen. Deswegen fand sie die Aufdringlichkeit des Grafen abstoßender als das große Muttermal auf seinem Kinn. Es hatte ganz den Anschein, als sei er nicht annähernd der Ehrenmann, als der er sich in seinem Brief ausgegeben hatte.
    Eine langsame Schrittfolge führte beide Seite an Seite durch den Saal, wobei die Füße des Grafen den Boden nicht berührten. Seine roten Augen glühten, und Julia konnte ihm ansehen, wie stolz er darauf war, mit der schönen, jungfräulichen Tochter des Hauses zu tanzen.
    "Wer Sie beschreibt, meine Liebe, kann gar nicht übertreiben", säuselte er.
    "Das ist sehr freundlich von Ihnen." Julia überlegte krampfhaft, mit welcher Ausrede sie sich von ihm loseisen könnte. Drückende Schuhe? Kopfschmerzen? Doch jedes Mal, wenn sie bei einer Drehung ihre Mutter sah, wurde sie daran erinnert, was von ihr erwartet wurde, und so tanzte sie wohl oder übel weiter.
    "Wie gefällt Ihnen der Ball?", fragte der Graf und wirbelte sie drei Mal hintereinander herum.
    Julia trug Ballschuhe mit silbernen Absätzen, die eine für sie ungewohnte Höhe hatten, und so musste sie erst wieder das Gleichgewicht finden, ehe sie zu einer Antwort ansetzen konnte. "Nun ja, er ist recht... nett",

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