Dein ist das Leid (German Edition)
auch Fenton auf der Hut sein. Und Mercer auch, falls er mit drinsteckt. Ganz sicher wird Fenton gegenüber Amanda irgendetwas zur Sprache bringen, damit sie entweder wütend auf uns wird oder uns nicht mehr über den Weg traut.“ Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. „Zu dir hat sie Vertrauen, Marc. Ich finde, du solltest so schnell wie möglich versuchen, den Schaden zu begrenzen.“
„Wie viel soll ich ihr erzählen?“
„Sag ihr, wir wären im Gespräch mit ihrem Onkel sehr direkt gewesen und bei allen möglichen Themen in die Tiefe gegangen. Dass ihm einige unserer Fragen gar nicht zu passen schienen. Wir hatten nicht die Absicht, ihn zu verärgern, aber wir mussten alles abdecken, jeden Stein umdrehen – und das schloss natürlich die Möglichkeit ein, dass Paul in kriminelle Aktivitäten verstrickt war. Wir wären aber sicher, er versteht das, denn er möchte ja auch, dass wir Justins Vater finden.“
„Schon kapiert. Die reine Wahrheit, nur ein bisschen parfümiert.“
„Genau. Egal, was er ihr erzählt, sie wird nicht besonders heftig darauf reagieren. Schließlich haben wir Fenton nicht direkt irgendetwas vorgeworfen. Wenn er ein schlechtes Gewissen hat, ist das sein Problem.“ Casey zuckte mit den Schultern. „Ich habe so das Gefühl, je tiefer wir graben, desto mehr werden wir finden, was Fenton belastet. Irgendwann werden wir Amanda darüber ins Bild setzen müssen. Aber im Augenblick hat sie schon genug Last auf den Schultern. Sie hat vor allem Justin im Kopf, und anders sollte es auch gar nicht sein. Die Sorgen ihres Onkels haben keine Priorität für sie. Und wenn sich herausstellt, dass Fenton etwas mit Pauls Verschwinden zu tun hat … Dann werden ihr, sagen wir mal, seine verletzten Gefühle nicht allzu viel ausmachen.“
Marc warf einen Blick auf seine Uhr. „Holen wir meine Sachen, und dann schnell zurück ins Büro. Ich will wissen, was Ryan bis jetzt herausgefunden hat.“
„Und was Claire und Patrick bei ihrem Besuch bei Amanda imKrankenhaus in Erfahrung bringen konnten. Keiner hat angerufen oder eine SMS geschickt. Was ja nur heißen kann, dass es noch keine Ergebnisse gibt.“
In diesem Augenblick klingelte Caseys Handy. „Unbekannte Nummer“ stand auf dem Display. Das könnte jeder sein, auch jemand, der gefährlich war. Was Casey niemals davon abhielte, den Anruf entgegenzunehmen; es machte sie nur vorsichtig. Sie schaltete die Freisprechanlage ein.
„Casey Woods.“
„Kyle Hutchinson“, meldete sich eine tiefe männliche Stimme.
„Hutch.“ Sie war beinahe überwältigt vor Erleichterung. Mit Hutch hatte sie am wenigsten gerechnet. Sie war so auf die augenblickliche Ermittlung konzentriert, dass der Anruf von einem Außenstehenden völlig unerwartet kam. Hutchs Stimme war eine willkommene Ablenkung, die sie sehr erfreute. Besonders da sie seit Wochen nicht mehr miteinander gesprochen hatten, was selten vorkam. „Bist du wieder in Quantico?“
„Nein, habe gerade einen Auftrag in Europa hinter mich gebracht. Zwischenstopp in London. Morgen fliege ich zurück in die Staaten.“
Hutch lieferte keine weiteren Erklärungen, und Casey fragte nicht nach. Obwohl sie eine sehr enge Beziehung hatten, war ihr klar, dass sie nicht neugierig sein durfte. Hutch arbeitete in der Abteilung für Verhaltensanalyse des FBI, und wie üblich beim FBI erfuhr jeder nur so viel, wie er unbedingt wissen musste. Vor Kurzem war er von der Unterabteilung, die sich mit Verbrechen an Kindern befasste, versetzt worden zu Verbrechen an Erwachsenen, und seitdem ging es ihm viel besser. Das alte Betätigungsfeld hatte begonnen, ihm zuzusetzen. Misshandelte Kinder, ermordete Kinder oder noch Schlimmeres. Es hatte ihm gereicht.
Ihre Fernbeziehung dauerte nun schon ein paar Monate, und bisher klappte es ganz gut. Beruflich hatten sie nur einmal miteinander zu tun gehabt – bei der Kindsentführung, die Forensic Instincts im Oktober bearbeitet hatte. Casey und Hutch waren mit den Köpfen aneinandergerasselt – es war nicht schön gewesen.
„Hallo, Hutch“, ließ Marc sich vernehmen. „Ich sitze mit ihr im Wagen, nur damit du nicht irgendwas sagst, das mich rot werden lässt.“
Ein Lachen drang aus dem Lautsprecher. „Danke für die Warnung.“ Hutch und Marc kannten sich aus gemeinsamen Tagen beim FBI undwaren befreundet. Tatsächlich war Marc es gewesen, der Casey ihm vorgestellt hatte.
„Arbeitet ihr um diese Zeit?“, fragte Hutch.
„Rund um die Uhr.“ Casey atmete hörbar aus.
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