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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Herausbildung Europas. Niewöhner hätte ihm gewiß widersprochen, und nicht nur aus fachlichen Gründen.
    Â 
    Im Ferienhaus der Eltern ist der Tod noch näher. Wie viele Sommer noch? fragt er sich oft, der Vater schon an die Achtzig. »Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen«, widmet der Großvater seine Selberlebensbeschreibung einem Geistlichen namens Hossein Ali Rasched, der ihn vielleicht nie bemerkt habe und ihn gewiß nicht kenne. »Es sind nun vierzig Jahre, daß ich mich stets bemühe, seine wertvollen Reden zu hören, sei es in der Moschee oder vor dem Radio, und mein Leben täglich nach seinem Vorbild auszurichten.« Der Großvater starb ein Jahr nach der Islamischen Revolution, die sein Mißtrauen bereits bestätigte. Ohne sich verabschiedet zu haben, war die Mutter zum Flughafen gefahren, als der zwölfjährige Enkel von der Schule heimkehrte. Als er mit dem Vater und den Brüdern in Isfahan eintraf, war der vierzigtägige Ritus schon auf Betriebstemperatur gesunken. Von früh bis spät waren Leute im Haus der Großeltern, die der Enkel nie gesehen hatte, am Morgen kleine Grüppchen, ab dem Nachmittag immer vierzig, fünfzig Menschen gleichzeitig. Sie füllten den Salon, die ebenso große Eingangshalle, in der sich die Großfamilie sonst immer traf, und in Stoßzeiten die Terrasse, obwohl es noch kühl gewesen sein muß. Der Enkel kann sich an kaum mehr erinnern, als daß große Reisplatten durch die Halle getragen und immerfort Tee und Süßigkeiten verteilt wurden. Doch, er hat sich auch gefragt, woher die vielen Stühle kamen, fällt ihm am Freitag, dem 14. Juli 2006, um 10:23 Uhr auf der Terrasse des Ferienhauses wieder ein, von der aus er den Golf von Rosas überblickt. Die Großmutter, die Mutter und die Tanten hat er nicht vor Augen. Vielleicht hielten sie sich im Salon auf, den er so gut wie nie betrat, vielleicht in einem anderen Raum. Regelmäßig brachen Frauen in Tränen aus oder klingelten die Bedürftigen, um sich Essen abzuholen. Dem Enkel war der Betrieb unheimlich. Weder widmete den Kindern jemand Aufmerksamkeit wie sonst, noch durften sie im Haus und im Garten toben. Wahrscheinlich hatte es niemand verboten, es war einfach so, daß sie wie Erwachsene in der Halle sitzen mußten in der bangen Erwartung, daß gleich wieder jemand weint. Weil bald danach der Krieg ausbrach und der Enkel dreizehn Jahre lang nicht nach Isfahan zurückkehren sollte, wirkte das Unbehagen lange nach: Das letzte, was er für lange Zeit von Iran sah, waren die fremden Menschen, die statt der Großfamilie in der Eingangshalle saßen. Niemand erklärte ihm, was das hieß: dein Großvater ist tot. Mit einer Selbstverständlichkeit, die es nicht einmal mehr in Iran gibt und auch vor dreißig Jahren wahrscheinlich nur für Kinder geben konnte, war er das … nein, nicht das Oberhaupt, das hat einen falschen Zungenschlag … war er das Haupt der Familie. Schon seine Statur hatte nichts Herrisches, klein, dick und der beinah kahle Kopf mit dem weißen Stoppelbart noch runder als der Kopf von István Eörsi, ungelogen wie ein Fußball. Oberhaupt, das klingt nach Befehlshaber, nach einem General, nach Monarchie. Dem Großvater waren alle menschlichen Hierarchien suspekt, wenn nicht widerwärtig, da es über den Menschen nur Gott gab, den Barmherzigen und Erbarmer. Politisch war er deshalb notwendig Republikaner, bis zuletzt Anhänger des Premierministers Mohammad Mossadegh, der Anfang der fünfziger Jahre für die Freiheit gekämpft hatte. Niemals machte es der Großvater sich leicht, war in eigenen Angelegenheiten oft unschlüssig und wog lange ab, wenn andere ihn vor ihren Entscheidungen um Rat fragten. Zu den Kindern sprach er wie zu Erwachsenen, das beeindruckte den Enkel natürlich. Vor allem war der Großvater peinlich auf Korrektheit bedacht und darauf, Gerechtigkeit auch dort widerfahren zu lassen, wo es ihn selbst schmerzte. Wenn der Enkel sich jetzt fragt, woher er das alles weiß, da er den Großvater doch nur als Kind und das auch nur ab und zu im Sommer erlebte, nicht einmal jedes Jahr, kann er nur vermuten, daß sich das Bild aus eigenen Erinnerungen zusammensetzt, die er später deutete, und aus Beschreibungen anderer, die sich dazufügten. Aber soweit er die Selberlebensbeschreibung gelesen, die ersten dreißig Seiten und einzelne

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