Deine Juliet
Großbritannien
Zugestellt an Eben am 14. Juni 1946
Sehr geehrter Buchclub von Guernsey,
ich grüße Sie als liebe Freunde meiner Freundin Elizabeth McKenna. Ich schreibe Ihnen heute, um Ihnen von ihrem Tod im Konzentrationslager Ravensbrück zu berichten. Sie wurde dort im März 1945 hingerichtet.
In den Tagen, bevor die russische Armee kam und das Lager befreite, transportierte die SS ganze Lastwagenladungen von Papieren zum Krematorium und verbrannte sie dort in den Öfen. Darum fürchtete ich, Sie würden vielleicht nie etwas von Elizabeths Gefangenschaft und Tod erfahren.
Elizabeth hat mir oft von Amelia, Isola, Dawsey, Eben und Booker erzählt. Ich erinnere mich nicht an Nachnamen, glaube aber, dass Eben und Isola ungewöhnliche Vornamen sind und Sie darum auf Guernsey leicht zu finden sein werden.
Ich weiß auch, dass Sie für sie wie eine Familie waren und dass sie dankbar und ruhig war, weil sie ihre Tochter Kit in Ihrer Obhut wusste. Darum schreibe ich Ihnen nun, damit Sie und das Kind von ihr erfahren und von der Stärke, die sie im Lager gezeigt hat. Und nicht nur von ihrer Stärke, sondern auch von ihrer besonderen Gabe, uns für eine kleine Weile vergessen zu lassen, wo wir uns befanden.
Ich bin zurzeit im Hospice La Forêt in Louviers in der Normandie. Mein Englisch ist recht dürftig, darum verbessert Schwester Touvier meine Sätze, während sie sie niederschreibt.
Ich bin jetzt vierundzwanzig Jahre alt. 1944 wurde ich in Plouha in der Bretagne von der Gestapo mit einem Päckchen gefälschter Lebensmittelkarten erwischt. Ich wurde verhört, geschlagen und ins Konzentrationslager Ravensbrück geschickt. Ich kam in Block 11, und dort traf ich Elizabeth.
Ich will Ihnen erzählen, wie wir uns kennengelernt haben. Eines Abends kam sie zu mir und rief mich beim Namen, Remy. Ich war erfreut und überrascht, jemanden meinen Namen sagen zu hören. Sie sagte: «Komm mit. Ich zeige dir eine wunderbare Überraschung.» Ich verstand nicht, was sie meinte, aber ich lief mit ihr durch die Baracke bis nach hinten. Dort war ein kaputtes Fenster mit Papier zugestopft, und sie zog das Papier heraus. Wir stiegen nach draußen und liefen zur Lagerstraße.
Dort sah ich dann, was sie mit der wunderbaren Überraschung meinte. Der Himmel über den Mauern war wie in Flammen – tief dahinfliegende Wolken in Rot und Purpur, von unten mit dunklem Gold beleuchtet. In immer anderen Formen und Farbtönen jagten sie über den Himmel. Wir standen da, Hand in Hand, bis der Himmel dunkel wurde.
Wer nie an einem solchen Ort war, kann wohl nicht verstehen, wie viel mir das bedeutete, so einen stillen Moment gemeinsam zu erleben.
Unsere Unterkunft, Block 11, fasste nahezu vierhundert Frauen. Vor jeder Baracke war ein Aschepfad, auf dem zweimal amTag zum Appell gerufen wurde, morgens um halb sechs und abends nach der Arbeit. Die Frauen aus den Baracken stellten sich in Karrees zu je hundert auf – immer zehn Frauen in zehn Reihen. Die Karrees erstreckten sich so weit links und rechts von uns, dass wir im Nebel oft nicht sehen konnten, wo sie aufhörten.
Unsere Betten waren hölzerne Pritschen, immer drei übereinander. Zum Schlafen hatten wir Strohmatratzen, die sauer rochen und von Flöhen und Läusen wimmelten. Nachts liefen uns große gelbe Ratten über die Füße. Das war gut, denn die Aufseherinnen hassten die Ratten und den Gestank, darum hatten wir wenigstens in diesen späten Stunden Ruhe vor ihnen.
Dann erzählte mir Elizabeth von Ihrer Insel Guernsey und von Ihrem Buchclub. Diese Dinge klangen für mich wie der Himmel. In den Kojen war die Luft, die wir einatmeten, schwer von Schmutz und Krankheiten, aber wenn Elizabeth sprach, konnte ich mir die gute, frische Seeluft und den Geruch von Früchten in der heißen Sonne vorstellen. Obwohl es nicht stimmen kann, erinnere ich mich nicht daran, dass in Ravensbrück auch nur einen Tag die Sonne geschienen hat. Ich liebe die Geschichte, wie Ihr Buchclub zustande kam. Als Elizabeth von dem Schweinebraten erzählte, hätte ich beinahe gelacht, aber ich tat es nicht. Lachen brachte einem Ärger ein in den Baracken.
Es gab mehrere Anschlüsse mit kaltem Wasser, wo wir uns waschen konnten. Einmal in der Woche brachte man uns zum Duschen und gab uns ein Stück Seife. Das war nötig für uns, denn was wir am meisten fürchteten, war, schmutzig zu sein, uns zu infizieren. Wir durften nicht krank werden, denn dann konnten wir nicht arbeiten. Die Deutschen hätten keine
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