Deine Juliet
nahrhaftes Essen bekommen und Amelia dafür sorgen wird, dass sie es stets warm hat, aber wie soll ich ihr mit heiterer Gesellschaft dienen? Lustige Reden und dergleichen liegen mir nicht. Ich wusste nicht, was ich der Schwester antworten sollte, darum nickte ich nur und bemühte mich, fröhlich zu gucken. Ich glaube nicht, dass es mir geglückt ist, denn die Schwester hat mich ziemlich misstrauisch gemustert.
Nun, ich will mein Bestes tun, doch Sie, von der Natur mit einem sonnigen Gemüt und einem leichten Sinn gesegnet, würden eine bessere Begleiterin für Remy abgeben, als ich es könnte. Sie wird Sie gewiss ins Herz schließen, so wie wir alle es in den vergangenen Monaten getan haben, und Ihre Gesellschaft wird ihr guttun.
Umarmen und küssen Sie Kit von mir. Am Mittwoch sehe ich Sie beide wieder.
Dawsey
Juliet an Sophie
28. Juli 1946
Liebe Sophie,
bitte vergiss alles, was ich je über Dawsey Adams gesagt habe.
Ich bin ein Schwachkopf.
Soeben habe ich einen Brief von Dawsey erhalten, in dem er die heilende Wirkung meines «sonnigen Gemüts» und meines «leichten Sinns» preist.
Ein sonniges Gemüt? Ein leichter Sinn? Noch nie bin ich derart beleidigt worden. Vom leichten Sinn ist es nicht mehr weit bis zur einfältigen Natur, meine ich. Einen schnatternden Hanswurst – das also sieht Dawsey in mir.
Außerdem bin ich gedemütigt – während ich mich bei unserem Spaziergang im Mondschein so seltsam von ihm angezogen fühlte, dachte er an Remy und wie ich sie mit meinem leichtsinnigen Geplapper amüsieren würde.
Nein, es ist klar, ich habe mich getäuscht und bin Dawsey herzlich gleichgültig.
Ich bin zu verstimmt, um heute noch mehr zu schreiben.
Alles Liebe,
Juliet
Juliet an Sidney
30. Juli 1946
Lieber Sidney,
nun ist Remy endlich da. Sie ist zierlich und furchtbar dünn, mit kurzgeschnittenem schwarzem Haar und fast schwarzen Augen.Ich hatte angenommen, dass sie irgendwie versehrt wirken würde, aber dem ist nicht so, abgesehen von einem leichten Hinken und einer leichten Steifheit, wenn sie den Kopf dreht.
Das hört sich an, als gliche sie einem verwahrlosten Kind, aber das tut sie nicht. Vielleicht von weitem, aber nicht aus der Nähe. Sie ist so durch und durch ernsthaft, dass man zuweilen aus der Haut fahren möchte. Dabei ist sie durchaus nicht kalt und gewiss nicht unfreundlich, aber sie scheint ein großes Misstrauen gegenüber jeglicher Impulsivität zu hegen. Hätte ich das Gleiche durchgemacht wie sie, wäre ich wohl ebenso – dem Alltagsleben ein wenig entrückt.
Wenn Remy mit Kit zusammen ist, gilt das alles jedoch überhaupt nicht. Anfangs hat sie Kit eigentlich nur beobachtet und kaum je das Wort an sie gerichtet, doch damit hatte es ein Ende, als Kit sie fragte, ob sie ihr das Lispeln beibringen solle. Remy sah sie verdutzt an – das hätte wohl jeder getan –, erklärte sich dann aber bereit, Stunden zu nehmen, und schon waren die beiden in Amelias Gewächshaus verschwunden. Remys Akzent ist dem Lispeln nicht förderlich, aber Kit nimmt es ihr nicht übel und erklärt es ihr großzügig wieder und wieder.
Zur Feier von Remys Ankunft hatte Amelia uns zu einem Abendessen im kleinen Kreis eingeladen. Alle stellten ihr bestes Benehmen zur Schau – Isola erschien mit einer großen Flasche Tonikum unter dem Arm, besann sich jedoch eines Besseren, sobald sie Remy zu Gesicht bekam. «Am Ende bringt es sie noch um», murmelte sie mir in der Küche zu und stopfte sich die Flasche in die Manteltasche. Eli schüttelte Remy aufgeregt die Hand und verzog sich dann – wahrscheinlich fürchtete er, ihr versehentlich wehgetan zu haben. Zu meiner Freude stellte ich fest, dass Remy sich bei Amelia offensichtlich wohlfühlt – sie werden sicher gern zusammen sein –, aber ihr Liebling ist Dawsey. Als er ein wenig verspätet als Letzter im Wohnzimmer auftauchte, löste sich ihre verkrampfte Haltung merklich, sie lächelte ihm sogar zu.
Gestern war es kalt und neblig, aber Remy, Kit und ich haben trotzdem eine Sandburg auf dem winzigen Stück Strand gebaut, das zu Elizabeths Grundstück gehört. Wir haben viel Zeit darauf verwendet, und es wurde ein wahres Prachtexemplar von beträchtlicher Höhe. Ich hatte eine Thermoskanne mit heißem Kakao dabei, aus der wir tranken, während wir darauf warteten, dass die Flut käme und die Burg zum Einsturz brächte.
Kit lief am Ufer auf und ab und spornte das Wasser an, schneller näher zu kommen. Remy legte mir die Hand
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