Deine Schritte im Sand
Leukodystrophie hat und bald sterben wird. Und meine andere Schwester, die gerade erst zur Welt gekommen ist, hat die Krankheit auch. Aber meine Eltern und die Ärzte hier in Marseille tun alles, um sie gesund zu machen. Vielleicht überlebt sie ja. Aber das wissen wir noch nicht.«
Die Kinder starrten ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Eine solche Geschichte hatte sicher noch keines von ihnen gehört.
Schon die erste Pause zeigte den tiefen Graben zwischen Gaspard und seinen Mitschülern. Innerhalb weniger Minuten wussten alle Kinder Bescheid, und Gaspard wurde zu einer Art Jahrmarktsattraktion. Die meisten trauen sich nicht in seine Nähe. Viele haben Angst vor dieser Krankheit, die sie nicht kannten und die offenbar Verheerendes anrichtete. Gaspard mochte hundertmal versichern, dass man diese Krankheit von Geburt an habe, die Kinder blieben lieber auf Abstand und flüsterten sich nur gegenseitig die seltsame Geschichte des »Neuen bei den Großen« ins Ohr.
SEIT EINEM MONAT GEHT GASPARD nun wieder in die Schule, aber dadurch verbessert sich die Situation für ihn nicht. Er kommt inmitten von oft gestressten oder sehr müden Erwachsenen zu kurz. Zwar hat er sich zunächst über Thaïs’ Rückkehr gefreut, doch schnell musste er feststellen, dass er mit seiner geliebten Schwester nicht mehr spielen konnte.
Was ihn auffängt und ihm Kraft spendet, ist der Garten. In unserer Wohnung in Paris fühlte er sich mit seiner überbordenden Energie oft beengt. Hier verschwindet er jeden Tag nach der Schule in seiner grünen Oase. Er zerkrümelt sein Brot, um Insekten anzulocken, sucht nach Grillen, indem er ihrem Zirpen folgt, und beobachtet aufmerksam das Verhalten einer ihm bis dahin unbekannten Käferart. Er denkt sich tausend Abenteuer aus und verwandelt die wenigen Bäume in einen feindlichen Dschungel. Doch er ist immer allein bei den Erlebnissen, die seiner Fantasie entspringen. Seine Einsamkeit bereitet mir Sorgen.
Eines Abends, als ich aus der Klinik komme, läuft mir Gaspard jubelnd entgegen.
»Mama! Mama, ich habe einen Freund. Einen Freund ganz für mich allein!«
Er lässt mir kaum Zeit, aus dem Auto auszusteigen. Am Ärmel zerrt er mich hinter sich her in den Garten. Im Schatten einer Zypresse steht ein glänzender Käfig, in dessen Innern eine kleine, schwarz-weiß-braune pelzige Kugel in einer Ecke kauert. Gaspard streckt die Hand durch die enge Öffnung und greift vorsichtig nach dem kleinen Tier.
»Mama, das ist Ticola, mein Meerschweinchen. Oma hat ihn mir geschenkt. Aber ich durfte ihn im Geschäft ganz allein aussuchen und ihm auch seinen Namen geben.« Seine Stimme verrät Stolz und tiefes Glück. Dann schaut er mich beunruhigt an. »Ich darf ihn doch behalten, oder? Er ist ganz freundlich. Er beißt fast überhaupt nicht und schmust gern mit mir. Ich habe ihm schon von unserer Familie erzählt. Bitte, Mama, sag ja.« In seinen Augen leuchten Sterne.
Ich bin gerührt. »Aber natürlich, mein Gaspard. Weißt du, als ich klein war, hatte ich auch einmal ein Meerschweinchen. Es hatte sogar die gleichen Farben wie deins.« Sanft nehme ich Ticola in meine Hände und betrachte lächelnd seine wilden Haarwirbel, die kleinen, durchscheinenden Ohren und die pfiffigen schwarzen Knopfaugen. »Herzlich willkommen in unserer Familie, Ticola. Ich freue mich, dass du Gaspards Freund bist. Pass gut auf ihn auf.«
Ich bin Loïcs Mutter Raphaëlle zutiefst dankbar, dass sie auf die großartige Idee gekommen ist, Gaspard ein Haustier zu schenken. Schnell werden die beiden unzertrennlich. Gaspard erzählt dem kleinen Tier, was er tagsüber erlebt, teilt mit ihm seine Freuden und vertraut ihm seine Kümmernisse an. Sobald er zu Hause ist, holt er ihn aus dem Käfig und schleppt das Tierchen dann überall mit sich herum. Manchmal sehe ich sogar bei den Mahlzeiten ein kleines rosa Schnäuzchen aus Gaspards Tasche lugen …
Der Neuankömmling bereitet auch Thaïs Freude. Sie streichelt ihn gern und muss lachen, wenn er ihre Hand kitzelt. Sie wirkt glücklich. Und wir sind erleichtert, denn Ticola beschäftigt Gaspard. Das Tierchen füllt eine Lücke aus, die Thaïs nicht mehr schließen kann; es wird Gaspards Spielgefährte.
Gaspard erwartet nicht mehr so viel von seiner Schwester. Immer noch verbringt er gern einige Zeit mit ihr, aber er beklagt sich nicht mehr darüber, dass er nicht richtig mit ihr spielen kann. Dafür beteiligt er Thaïs an seinem Glück. Er beschreibt ihr ganz genau, was er mit seinem Freund
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