Deine Schritte im Sand
Was können wir tun? Wenn wir wüssten …
DANKE, DON QUICHOTTE . Sein erbitterter Kampf gegen harmlose Windmühlen ist mir eine unschätzbare Hilfe. Während der düsteren Stunden hilft mir diese Geschichte, einen sehr wichtigen Punkt nicht aus den Augen zu verlieren: Täusche dich nie darüber, wer dein Feind ist. Es gibt eine schreckliche Gewissheit: Auch mit den besten Mitteln können wir Thaïs nicht retten. Diese Tatsache bedeutet jedoch keinesfalls, dass wir versagt haben. Mir wird wieder einmal klar, dass wir schon monatelang nicht mehr gegen die Leukodystrophie kämpfen.
Die MLD ist eine Windmühle, die nur viel unnützen Staub aufwirbelt. Wir wussten, dass es sinnlos war, dagegen anzurennen, und wollten keine Energie vergeuden. Aus diesem Grund haben wir schon vor langer Zeit die Waffen gestreckt. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir untätig zugeschaut haben. Wir nahmen eine andere Herausforderung an. »Den Tagen Leben geben, wenn man dem Leben keine Tage mehr geben kann.« Das war unsere Schlacht. Nichts sonst. Im letzten Frühling habe ich Thaïs in Loïcs und meinem Namen das Versprechen gegeben, alles zu unternehmen, um sie glücklich zu machen. Heute ist dieses Versprechen sinnvoller denn je. Und wir werden es umsetzen. Bis zum letzten Augenblick. Wir werden vor nichts zurückschrecken.
ES IST MITTE DEZEMBER . Weihnachten steht vor der Tür. Wenn es ein Familienfest gibt, das Loïc und ich ganz besonders lieben, dann ist es die stille, die Heilige Nacht. In diesem Jahr jedoch kündigt sie sich eher unwirsch an. Aber es liegt an uns, sie schöner zu gestalten.
Wir brauchen uns nicht abzusprechen, um zu wissen, was wir wollen. Gemeinsam erklären wir es dem Arzt: Thaïs kommt nach Hause. Und zwar für immer.
Es ist verrückt! Ja, es ist verrückt. Umso besser, denn für Thaïs sind wir zu jeder Verrücktheit fähig. Und wir wollen auf keinen Fall, dass sie ihre letzten Lebenstage in einem unpersönlichen Krankenhauszimmer verbringt. Ihr Platz ist zu Hause bei ihrer Familie. Wir spüren, dass wir stark und mutig genug sind, um sie bei uns zu pflegen. Wir lassen uns nicht beirren. Die Dringlichkeit der Situation verleiht uns den nötigen Schwung, den Schritt zu unternehmen.
Der Sprung ins Ungewisse zieht ein zugleich angenehmes wie auch beunruhigendes Schwindelgefühl nach sich. Angenehm, weil wir überzeugt sind, das Richtige zu tun. Beunruhigend, weil wir keine Ahnung haben, was uns erwartet. Und das ist unser Glück.
Der Arzt willigt nicht nur ein, sondern er unterstützt uns auch dadurch, dass er sofort eine häusliche Pflege organisiert. Nach wenigen Anrufen ist alles geregelt. Wir können das Krankenhaus mit Thaïs verlassen. Als wir uns von den Krankenschwestern verabschieden, gelingt es diesen nur mühsam, ihre Gefühle zu unterdrücken. Sie wissen, dass sie ihre Prinzessin Courage niemals wiedersehen werden.
HÄUSLICHE KRANKENPFLEGE. EINE BAHNBRECHENDE IDEE , die man kurz so zusammenfassen könnte: »Wenn du nicht ins Krankenhaus gehst, kommt das Krankenhaus zu dir.« Und es kommt sofort, ohne auch nur eine Kleinigkeit zu vergessen. Noch am Tag unserer Heimkehr mit Thaïs klingelt eine Pflegerin an unserer Tür. Sie hat eine Ausstattung bei sich, die den sprichwörtlichen Sack des Weihnachtsmanns alt aussehen lässt. Alles ist da: Medikamente, Verbandsmaterial, die nötigen Geräte und die Beutel mit Nährlösung.
Die Schwestern vom häuslichen Pflegedienst kennen uns schon. Sie kamen bereits regelmäßig, um Azylis zu versorgen. Und ich muss gestehen, dass ich sie bei ihren Besuchen häufig wegen der Bildung eines Druckgeschwürs, dem Auftauchen eines roten Flecks oder plötzlichen Herzrhythmusstörungen bei Thaïs gefragt habe. Meist gingen sie freundlich auf meine Frage ein, doch die Situation war nie ganz entspannt, weil Thaïs offiziell nicht ihre Patientin war. Aber das ist vorbei. Jetzt haben sie freie Hand, und sie zeigen großen Einsatz.
Unentbehrlich und von kurzer Dauer. Die häusliche Krankenpflege lässt sich auf diese beiden Begriffe herunterbrechen. Sie ist weniger für Schwerstkranke, die ein langer Klinikaufenthalt erwartet, gedacht als vielmehr für Patienten, die sich schon auf dem Weg der Besserung befinden und deren Verweildauer im Krankenhaus man so verkürzen kann. Sie ist zeitlich begrenzt; man kann sie zwischen einer Woche und maximal einem, höchstens zwei Monaten in Anspruch nehmen. Länger nicht.
Thaïs’ Fall passt nicht ins Schema. Ihr Zustand wird sich
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